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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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entdeckt. Beide Männer wurden durch einen Schuss in den Mund getötet. Nach den Ausweisen zu urteilen, handelt es sich dabei um den bekannten Unternehmer und Eigentümer der Apotheken der › Doktor Wehwehchen ‹ -Kette Oleg Jastykow und seinen Chauffeur Leonid Sajzew. Obwohl der Doppelmord an einem belebten Ort und am helllichten Tag stattfand, gibt es keine Zeugen des Verbrechens. Der Einsatz- und Untersuchungsstab . . .«
    »Mira!«, brüllte Fandorin aus voller Kehle. »Mira!«
    Er hielt inne und schwankte. Ihn überkam eine so große, physisch spürbare Erleichterung, dass ihm übel wurde wie einem Taucher, der zu schnell aus der Wassertiefe hochschießt.
    »Was ist mit dir?! Kolja, was hast du?!«, schrie Mira besorgt.
    Sie stürzte zu ihm und umarmte ihn fest, damit er nicht hinfiel.
    »Ist dir schlecht? Das Herz?«
    »Sie hat ihn umgebracht«, sagte Nicholas mit einem reichlich unchristlichen, strahlenden Lächeln. »Jeanne. Ihren Boss Jastykow. Mit einem Schuss in den Mund. Das ist ihre Handschrift. Deshalb hat sie auch gesagt: › Von Olegs Seite wird es keine Probleme geben. ‹ Ich . . . Wir brauchen keine Angst mehr zu haben.«
    »Umso besser«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Dann brauche ich nicht zurückzugehen.«
    Er blinzelte ein paarmal unsicher, weil er nicht gleich den Sinn ihrer Worte erfasste. Als er endlich verstanden hatte, schämte er sich, dass er wie ein geschlagener Hund hinter ihr her getrottet war und nach dem Schlüssel zu ihrem Herzen gesucht hatte.
    »Genau.«
    Nicholas nahm eine Schneeflocke von ihrem Haar, dann eine zweite und dritte. Er ließ es sich nicht nehmen und küsste sie an der Stelle, wo er den zartgoldenen Flaum ihres Haaransatzes sah.
    »Komm, wir fahren nach Moskau. Du kannst bei mir wohnen.«
    Als er das gesagt hatte, stellte er sich vor, wie seine Rückkehr aussehen würde. Er war zehn Tage wer weiß wo abgeblieben, hatte seiner Frau mit allen möglichen Gefahren Angst eingejagt und tauchte nun auf einmal auf: strahlend, in Begleitung einer hinreißenden Nymphe, und erklärte auf der Türschwelle: »Das ist Mira, sie wird in Zukunft mit uns zusammenwohnen.« Und dann auch noch diese idiotische Nachricht, die Glen in den Briefkasten gesteckt hatte . . .
    Nein, das würde nicht einfach sein.
    Unterwegs auf der Landstraße sagte das Mädchen auf einmal zu dem Taxifahrer an der Stelle, wo es nach Trost ging:
    »Hier abbiegen, da, wo das Schild › Einfahrt verboten ‹ ist.«
    Der Fahrer blickte Nicholas an – der zuckte mit den Achseln.
    Sie bogen ab.
    »Warum?«, fragte er sie flüsternd.
    »Ein paar Sachen holen. Auf die Kleider und das Spielzeug von ihm pfeife ich, aber ich will meinen Koffer haben . . . Robert Aschotowitsch hat ihn von seinem Geld gekauft. Da sind auch noch das Tagebuch, das ich führe, seit ich elf bin, und ein Foto meiner Mutter.«
    Sie hatte die Lippen so stur aufeinander gepresst, dass sie weiß waren. Aber je näher sie dem Gut kamen, desto mehr lockerte sich ihr Mund, und statt der Lippen färbten sich nun ihre Wangen weiß.
    Am Tor griff Mira nach Fandorins Hand.
    »Nein, ich schaffe es nicht. Kolja, kannst du nicht allein gehen? Bitte, bitte! Der Koffer mit den Aufklebern liegt ganz unten im Schrank. Inga wollte ihn wegschmeißen, aber ich habe es nicht zugelassen. Das Tagebuch und das Foto findest du in dem rosa Kopfkissen.«
    »Soll ich sagen, dass du hier bist?«, fragte Nicholas leise.
    Sie antwortete nicht.
    Er stand drei Minuten vor den stählernen Türflügeln und wartete darauf, dass ihn jemand über die Lautsprecher ansprach. Nichts dergleichen geschah. Merkwürdig.
    Er drückte auf die Klingel.
    Wieder nichts.
    Ob sie alle weggefahren waren? Aber es musste doch jemand auf das Haus aufpassen!
    Schließlich hörte man eine zitternde Frauenstimme durch den Lautsprecher:
    »Wer ist da?«
    »Klawdija, sind Sie das? Hier ist Nikolaj Alexandrowitsch. Wo ist denn das Wachpersonal?«
    »Herrgott, das ist einfach eine Katastrophe«, beklagte sich Inga Sergejewna, als sie Fandorin am Eingang zum Wohnzimmer traf. »Chodkewitsch ist weg, das Wachpersonal ebenfalls. Irgendwelche Halbstarken haben einen Stein in das Gewächshaus geschmissen. Klawdija und ich, wir sitzen hier allein und haben vor allem Angst. Wie die Videokameras funktionieren, wissen wir nicht. Ich habe versucht, Mirat und Igor zu erreichen. Sie sind mit Gebhardt zu dem Kombinat geflogen. Per Handy meldet sich niemand, und vor Ort sind sie noch nicht eingetroffen . .

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