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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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    Sie stockte und hielt sich schuldbewusst mit der Hand den Mund zu.
    »Ach, verzeihen Sie um Gottes willen! Da mache ich Sie mit meinen kleinen Sorgen verrückt, während Sie . . . Gott sei Dank, Sie leben! Und Mira? Wo ist sie?«
    Er druckste herum, weil er nicht wusste, ob er sagen sollte, dass das Mädchen vor dem Tor wartete.
    Frau Kuzenko interpretierte sein Schweigen auf ihre Art. Sie seufzte traurig und bekreuzigte sich.
    »Ja, ja, Mirat hat gesagt, das Mädchen ist nicht zu retten . . . Entsetzlich. Bitte ersparen Sie mir aber die Einzelheiten, ja?«
    »Hat er das wirklich so gesagt: › Das Mädchen ist nicht zu retten ‹ ?«, fragte Nicholas und zuckte unwillkürlich zusammen.
    »Ja. Er hat sich sehr tapfer gehalten, zumindest am Telefon. Er tut mir wahnsinnig Leid – ich kann gar nicht sagen, wie sehr! Und dann auch noch die Fahrt zu dem Kombinat. Die kann man ja nicht verschieben, Gebhardt ist ständig ausgebucht. . . Ein Albtraum! Nach so vielen Jahren seine Tochter zu finden und sofort wieder zu verlieren . . . Wir beide können nun mal keine Kinder haben, das habe ich Ihnen ja erzählt. . .«
    Seinem Gesicht waren offenbar die Zweifel anzusehen, sie wurde verlegen und schnatterte weiter:
    »Natürlich ist der Grund nicht nur Gebhardt. Beziehungsweise, er ist es überhaupt nicht. Mirat ist nun einmal so – wenn es ihm schlecht geht, stürzt er sich in die Arbeit, um sich abzulenken. Arme Mira! Sie war so ein tolles Mädchen! Sie wäre bildschön geworden . . .« Inga schluchzte auf, nahm ein Tuch und tupfte vorsichtig die Träne ab. »Hat man sie wenigstens nicht gequält? Nicht doch, erzählen Sie lieber nichts! Entsetzliche Zeiten sind das heute, entsetzlich . . . Und wenn die Presse erst Wind davon bekommt – dann geht es erst richtig los! Aber Mirat hält das schon aus, er ist Kummer gewohnt.«
    Obwohl kein Fremder im Raum sein konnte, schaute sich Frau Kuzenko um und flüsterte:
    »Das mit Jasti wissen Sie wahrscheinlich schon, oder? Ich habe es im Fernsehen in den Nachrichten gesehen. Der Kopf war nach hinten gekippt, das Kinn blutüberströmt. Entsetzlich! Das war Mirat, oder? Um sich für Mira zu rächen? Mein Gott, ich kenne die beiden seit der fünften Klasse, der eine immer zerzaust, der andere mit so einer komischen Brille . . . Sie sind alle verrückt geworden . . .«
    Die Frau redete immer wirrer, sie fing an, mit den Zähnen zu klappern, offenbar stand sie kurz vor einem hysterischen Anfall.
    Nicholas ließ sie auf dem Sofa Platz nehmen und goss ihr Wasser ein.
    Ihre Zähne schlugen gegen das Glas, sie murmelte:
    »Einen Stein ins Gewächshaus . . . Da sind Lilien, die erfrieren doch . . . Und Pawel Lukjanowitsch, warum ist der . . . ? Als ich zurückkam, traf ich nur Klawdija an . . . Sie sind alle verrückt, alle . . . Was ist das nur für ein Leben . . . ? Keinen Schritt ohne Wachpersonal . . . Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich zuletzt spazieren gegangen bin . . . Sie bringen die Kinder um . . . Schicken einem das Urteil per Post ins Haus . . . Hass, Bosheit und Wahnsinn . . .«
    »Was?!«, rief Fandorin aus. »Was für ein Urteil per Post? Wovon reden Sie da?«
    »Wie? Das ist lange her. Mirat hat gesagt, reg dich nicht auf, ich regele das schon.«
    Inga trank das Wasser aus und putzte sich die Nase.
    Fandorin holte sein Notizbuch aus der Tasche und suchte mit fliegenden Fingern nach der Seite, die er brauchte.
    »Wann war das? Am 6. Juli?«
    »Ja, genau! An meinem Geburtstag, deshalb habe ich die Post auch selber auf gemacht. Richtig, das war der Sechste! Postkarten, Glückwünsche und dann auf einmal ein Kärtchen mit irgendeinem Unsinn: Kuzenko wird zum Tode verurteilt, weil er ein Schwein ist. So was Ähnliches.«
    » › Ist als Schwein und Betrüger entlarvt worden und wird aufgrund dessen zum höchsten Strafmaß verurteilt: der Vernichtung. ‹ War das der genaue Wortlaut?«
    »Ja, richtig!«, stimmte sie zu. Ingas schöne Augen weiteten sich erstaunt. »Und woher wissen Sie das? Was haben Sie da für Notizen?«
    »Dann hat Mirat Leninowitsch das Urteil also gesehen«, hielt Fandorin fest, ihre Frage ignorierend. »Und wie hat er reagiert?«
    »Normal. Hat Igor aufgetragen, die Sache zu regeln. Ein paar Tage später habe ich nachgefragt, da hat er gesagt: eine Lappalie, nichts Besorgnis erregendes, ein ganz normaler Spinner.«
    Nicholas kniff sogar die Augen zu, so blendend und schmerzend klar war die Erleuchtung, die ihn überkam. Ach, Mirat Leninowitsch, Sie

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