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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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und du an einen Vernünftigen gerätst, den du lieben kannst, dann zieht der mit Sicherheit in den Krieg und kommt dort um; und das bricht dir das Herz. Nein, wirklich, alleine ist es entschieden lustiger.« Pawlina lächelte und fuhr Mitja über die Haare. »Was guckst du denn so nachdenklich? Ist dir das Märchen zu langweilig? Ich erzähl dir jetzt ein anderes. Willst du das Märchen vom Zarensohn Iwan hören?«
    Aber das Märchen vom Zarensohn Iwan bekam Mitja nicht erzählt, weil in diesem Augenblick ein verzweifeltes Klopfen an der Hinterscheibe zu hören war. Der Diener Lewonti brüllte etwas und verdrehte ängstlich die Augen. Zuerst war nichts zu verstehen, die Kutsche fuhr bergauf, und der Kutscher trieb das Pferd mit der Peitsche an. Dann hörte man:
    »Gnädige Frau! Ein Unglück! Ein Überfall!«
    Die Chawronskaja stürzte an das linke Fenster, um es zu öffnen, Mitja an das rechte. Sie guckten an beiden Seiten heraus.
    Von hinten kamen fünf sich schnell nähernde Reiter angaloppiert: einer vorneweg, die restlichen vier dahinter. Dem Ersten sah man sofort an, dass er ein Räuber war; sein Gesicht war unter einer schwarzen Maske versteckt. Er saß auf einem riesigen Rappen, der schwarze Mantel blähte sich hinter seinem Rücken, und den Dreispitz hatte er tief in die Stirn gezogen.
    Überall Einöde, weit und breit kein Mensch, sie waren an beiden Seiten von dichtem Wald umgeben.
    Die Gräfin wandte sich an den Kutscher und schrie:
    »Jag los! So schnell du kannst!«
    Die Reiter kamen zu der Steigung und mussten ihr Tempo verlangsamen, während die Reisekutsche schon oben angekommen war und nun schneller wurde.
    Links öffnete sich der Wald auf eine breite Lichtung mit Baumstümpfen: Hier war gerodet worden. Am hinteren Rand befand sich eine kleine Hütte, die aussah wie ein Jagdhäuschen. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf, also waren Menschen darin. Wie konnte man sie auf sich aufmerksam machen? Mit einem Schrei käme man nicht weit.
    Heureka! Einen Schuss abgeben!
    Mitja zeigte auf die Hütte und sagte:
    »Piffpaff!«
    Die kluge Pawlina verstand, was er meinte. Sie klopfte an das Vorderfenster und schrie:
    »Touko! Gib einen Schuss ab!«
    Der Finne antwortete mürrisch: »Ihr habt gut reden! Wie soll ich denn dabei die Zügel halten?!«
    Mit einem Ruck öffnete sie das Fenster und sagte:
    »Gib sie mir!«
    Bis der Kutscher ihr die Flinte mit einer Hand durch das Fenster gereicht und die Gräfin sie auf dieselbe Weise den Dienern auf dem hinteren Wagentritt übergeben hatte, waren sie an der Lichtung mit der Hütte längst vorbei, und es umgab sie auf beiden Seiten Wald.
    Wieder drohte sie der Vordermann einzuholen. Sein Pferd lief im Galopp, es griff mit seinen breiten Hufen weit aus. Die Augen des Rappen waren schrecklich, sie quollen aus den Höhlen hervor; von den herabhängenden Lippen flogen weiße Schaumfetzen; und der Reiter hatte statt Augen zwei Löcher, und einen Mund hatte er überhaupt nicht. Entsetzlich!
    »Schieß auf ihn!«, befahl die Gräfin.
    Foma legte die Flinte an, es rauchte und krachte, aber er verfehlte sein Ziel. Das machte den Räuber nur wütend, er war schon ganz dicht aufgerückt, es fehlten lediglich fünf Klafter. Irgendwoher zog er eine Pistole mit einem langen Lauf und zielte genüsslich.
    »Mutter Gottes!«, schrie Foma auf, warf die Flinte weg und sank, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, zu Boden.
    Auch Lewonti krümmte sich nach unten. Mitja schien, als habe die schwarze Mündung es nun direkt auf ihn abgesehen. Er griff nach Pawlinas Hand und zog sie zu Boden. Sie pressten sich aneinander und kniffen die Augen zu.
    Der Schuss war nicht besonders laut, sehr viel leiser als der aus der Flinte. Sie hatten Glück und blieben beide verschont.
    Nein, sie blieben nicht verschont.
    Es gab einen Knall, vorne kratzte etwas an der Wand, und die Kutsche wurde sofort von einer Seite auf die andere geschleudert.
    Man hörte Lewontis Schrei:
    »Gnädige Frau! Der Finne ist vom Bock gefallen! Wir sind verloren!«
    Ach, dieser Missetäter hatte über die Kutsche hinweg gefeuert und den Kutscher Touko erschossen!
    Sofort gab es ein Knirschen und Krachen, die Pferde wieherten auf, die Schlittenkutsche hielt und kippte zur Seite. Die Achse war gebrochen, wurde Mitja klar. Als er mit seinem Vater nach Petersburg gefahren war, war ihnen das auch einmal passiert; die Reparatur hatte einen halben Tag gedauert.
    Die Gräfin war toll. Ein anderes Weib hätte bestimmt angefangen

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