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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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unwahrscheinliches Glück! Nach Moskau zu kommen und von da weiter nach Hause, zu Papa und Mama! Das war wirklich ein Wink des Schicksals, das endlich die Jagd auf den kleinen Mithridates leid war und beschlossen hatte, ihn zu begnadigen.
    »Du weißt nicht, was Moskau ist? Das ist eine riesengroße Stadt, noch größer als Petersburg. Und besser. Da sind die Leute einfacher und freundlicher. Es gibt viel Schnee, alle fahren in Schlitten und rodeln den Berg hinunter. Kommst du mit nach Moskau?«
    »Ja, ich komme mit.«
    »Ja, ich komme mit«, wiederholte die Schöne mit dünnem Stimmchen und lächelte zärtlich. »Das ist toll. Ich habe einen Onkel, der da wohnt. Aber zusammen zu fahren, ist viel lustiger.« Und sie seufzte überhaupt nicht besonders lustig. »Mitjuschenka, ich habe mich Hals über Kopf dazu entschlossen. Ich habe praktisch gar nicht gepackt. Ich habe noch die Sachen an, in denen ich auf dem Ball war.«
    Er sah, dass sie die Wahrheit sprach. Unter dem geöffneten Zobelpelz sah man das weiße Kostüm, und unter der Kapuze hatten sich lange Nixenhaare gelöst, in denen immer noch die Seerosen hingen.
    »Wie, Kopf über Hals?«, fragte Mithridates vorsichtig. »Und was ist mit Ssuhen und Spielzeuss?«
    »Spielzeug?«, wiederholte sie traurig lachend. »Ich wäre fast selber ein Spielzeug geworden, mein Lieber.« Und weniger zu Mitja als zu sich selbst sagte sie: »Bitte schön, Platon Alexandrowitsch! Herzlich willkommen! Tretet ein, mein lieber Gast! Das Vögelchen ist ausgeflogen. Und auch Eure Spione haben keine Ahnung, wohin.«
    Aha! Aus dem Gesagten ging hervor, dass Seine Durchlaucht der Fürst auch ohne Mithridates ein Mittel gefunden hatte, dem Objekt seiner Begierde von seinem Plan zu berichten, noch in dieser Nacht alle Schlösser und Mauern zu überwinden. So hatte die Chawronskaja also beschlossen, direkt vom Ball aus die Flucht zu ergreifen, und war noch nicht einmal nach Hause gefahren, wo der Favorit mit Sicherheit gekaufte Spione hatte.
    »Wir kriegen das schon hin!«, sagte Pawlina Anikitischna, setzte Mitja neben sich und legte ihren Arm um seine Schulter. »Wir türmen wie der Pfannkuchen. Über Felder und durch Wälder. Keiner kriegt uns ein. Kennst du das Märchen vom Pfannkuchen? Nein? Dann hör mal zu.«
    Was soll’s, von solch einer Göttin ließ er sich sogar die Geschichte vom Pfannkuchen gefallen.
    Sie stürmten ohne Pause die halbe Nacht durch vorwärts, bis nach Ljuban. Mitja musste das Märchen vom Pfannkuchen, das Märchen vom bösen Wolf und das Märchen von Hänsel und Gretel über sich ergehen lassen. Die zärtliche, gelassene Stimme der Erzählerin regte ihn herrlich zum Nachdenken an. Über die Widrigkeiten des Schicksals und darüber, wie viel besser die Weiber als die Männer sind.
    Den Kopf legte er auf die weichen Knie der Gräfin, ihre seidigen Finger strichen ihm durchs Haar. Und ihm kam der schadenfrohe Gedanke: Graf Surow würde sich wohl auch gerne so verwöhnen lassen, ihm wäre kein Geld zu schade dafür, aber da hatte er nun mal Pech gehabt, der allmächtige Favorit.
    An der Poststation trug der Diener Lewonti den dösenden Mitja auf seinen Armen ins Zimmer der Herberge. Dann wärmten Lewonti, der Diener Foma und der Kutscher Touko sich mit Wodka auf, und Mitja half der Gräfin, sich zu entkleiden (sie hatte ja ihre Kammerzofe nicht dabei). Sie selbst zog ihn ebenfalls aus, und sie schliefen Arm in Arm bis zum Morgengrauen in dem knarrenden Bett. Obwohl das Lager hart und der vergangene Tag entsetzlich gewesen war, hatte Mithridates einen schönen Traum. Er träumte vom Goldenen Zeitalter. Die Wissenschaft hatte das Kunststück vollbracht, einen so vollkommenen Homunculus zu schaffen, dass die Existenz der groben Hälfte der Menschheit nicht mehr notwendig war.
    Die Männer waren alle nach und nach verschwunden, und mit Kränzen geschmückte Weiber und Mädchen schlenderten durch die grünen Wiesen in weißen Chitonen. Es gab keine Kriege, keine Überfälle, keine Schlägereien mehr. Die Weiber umgaben Hirsche und Giraffen, denn keiner machte mehr Jagd auf die wilden Tiere; und die Kühe guckten ohne Trauer, weil keiner sie in die Schlachthäuser brachte. Es ist ja bekannt, dass die Weiber keine großen Liebhaber von Fleisch sind, sie essen lieber Gemüse, Gräser und Früchte.
    Am Morgen setzte Pawlina Mitja auf einen kleinen eisernen Topf und nahm selbst Platz auf einem etwas größeren. Mithridates lief rot an, wandte sich ab und konnte vor Scham seine

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