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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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es schon selber peinlich, dass er sich wegen der Verspätung so auf das arme Mädchen gestürzt hatte. Sie war so glücklich aus dem Taxi geflattert: goldene Löckchen bis zu den Schultern, Rüschenkleid, Netzstrümpfe, auf der Wange ein Schönheitspflästerchen mit einer chinesischen Hieroglyphe, kurz: wie Natascha Rostowa aus Tolstojs »Krieg und Frieden« bei ihrem ersten Ball. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, an der geschlechtlichen Zugehörigkeit dieser Naiven zu zweifeln. Und da hatte er ihr Vorwürfe gemacht. Das war nicht in Ordnung, nein, das war sexueller Chauvinismus. Ein echtes Mädchen hätte er bestimmt nicht ausgeschimpft, wenn es zu spät gekommen wäre, stimmt’s?
    »Okay, okay, Entschuldigung«, sagte Nicholas. »Du bist heute einfach umwerfend schön!«
    Und Valja, die von ihrem Chef nicht gerade mit Komplimenten überschüttet wurde, fing sich sofort, ja sie strahlte. Sie drehte sich mit ihrem ganzen Körper dem Fahrer zu, klimperte mit ihren superlangen Wimpern, zupfte ihre künstlichen Brüste zurecht und bohrte die Ellenbogen in die Rückenlehne des Sitzes.
    Sie gurrte leidenschaftlich:
    »Da stehe ich nun vor Ihnen, eine einfache russische Frau.«
    Das war so eine Mode in ihren Kreisen: egal, ob es passte oder nicht, mit Zitaten aus vorsintflutlichen sowjetischen Filmen aufzuwarten. Was fanden diese »Kinder der Sonne«, wie man sie nach einem Theaterstück Gorkis nennen könnte, diese ersten Schneeglöckchen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, an den abgestandenen primitiven Erzeugnissen des sozialistischen Realismus, dass diese sie so anzogen? Das war doch ganz gewöhnlicher Propaganda-Schwachsinn. Nicholas hatte sich ein paar Kassetten angeguckt, die Valja mitgebracht hatte: die Filme »Tschapajew«, »Lustige Burschen« und dann noch den, wie hieß er noch?, aus dem dieser Spruch mit der »einfachen russischen Frau« stammte, und hatte es auf gegeben. Er, der mit den antisowjetischen Philippika von Sir Alexander auf gewachsen war, würde nie die Kunst der totalitären Zeit als etwas Stilvolles oder Exotisches auffassen können.
    »Hier to the left abbiegen«, sagte Valja und legte Nicholas gleichsam aus Versehen die Hand auf die Schulter. »Dann to the right, und da ist dann das › Cholesterin ‹ .«
    »Ein merkwürdiger Name für ein Restaurant«, sagte Fandorin und sah sich nach einem Parkplatz um; die Straße war vollgeparkt mit teuren Autos. »Cholesterin ist doch schädlich.«
    »Schmeckt aber ex-qui-sit«, hauchte ihm die Zauberin leidenschaftlich ins Ohr.
    Nicholas sagte streng:
    »Also, Valentina. Wir haben doch ein für alle Mal abgemacht . . .«
    »No problem«, sagte sie und fuhr zurück. »Ich verstehe: ein Haus, eine Frau, was braucht der Mensch denn sonst noch, um dem Alter gelassen entgegenzusehen?«
    Na, weißt du, dachte Nicholas kopfschüttelnd, vierzig und ein paar Zerquetschte, das ist doch wohl kein Alter, oder?
    Gegenüber dem strahlenden Schild in Form eines sich suhlenden Ferkels wurde ein Platz frei – ein roter Audi fuhr weg; Fandorin wollte sich in die Lücke klemmen, aber Valja machte Schmolllippen und sagte:
    »Chef, können wir nicht ein Stückchen weiter fahren? Wie soll ich denn mit meiner ganzen Grazie vor den Augen von tout le monde aus dieser Blechkiste aussteigen? Ich interessiere mich wer weiß wie für Ihren Ruf, und meiner ist Ihnen total egal.«
    Ohne ein Wort des Protestes bog Nicholas mit seinem Shiguli um die Ecke. Er hatte sich dieses unansehnliche Auto seinerzeit aus dem patriotischen Überschwang des Spätheimkehrers zugelegt- er wollte die Werbekampagne »Auf zum Kauf einheimischer Produkte« unterstützen. Stoisch ertrug er die störrischen Eskapaden der Blechkiste, kurierte ihre unzähligen Zipperlein, tauschte endlos kaputte Griffe und Spiegel aus und, was das Wichtigste war, gab sich Mühe, seine Frau nicht zu beneiden, die mit einem Landrover-Schlitten herumkutschierte. Der radikale Erast nannte das Fahrzeug seines Vaters »Staubsauger« und weigerte sich, damit zu fahren, während der sentimentalen Gelja der Shiguli Leid tat und sie ihn zärtlich Teddy nannte, wobei sie an das Gedicht dachte: »Sie warfen Teddy weg / Und rissen ihm die Arme aus. / Ich holt ihn aus dem Dreck / Und hab‘s jetzt warm in meinem Haus.«
    Als er durch die dunkle Gasse zu dem mit bunten Lämpchen lockenden Nachtklub ging, überkam Fandorin auf einmal ein längst vergessenes faszinierendes Gefühl: so etwas wie Vorfreude auf ein Fest, wie in

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