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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Notdurft nicht verrichten. Die Gräfin dagegen plätscherte fröhlich, kämmte sich gleichzeitig die restlichen Seerosen aus den Haaren, betrachtete sich im Spiegel und sagte:
    »Macht nichts, macht nichts. Kommt Zeit, kommt Rat. Was nachts ängstigt, ist morgens gebändigt. Ach, wie blass ich bin, wie blass! Das ist ja entsetzlich!«
    Dabei war sie gar nicht blass, sondern hatte rote Apfelbäckchen. Nur das Licht war morgendlich und noch fahl.
    Pawlinas Stimmung war unvergleichlich viel besser als am Vortag. Während sie Mitja anzog, sang sie etwas auf Französisch, kitzelte ihn an den Rippen und lachte. Aber als er ihr dann die Haare kämmte und half, sie zu einem dicken Knoten zu winden, da hörte die Gräfin auf einmal auf zu singen, und er sah im Spiegel, dass ihre Augen feucht waren und sie ein ums andere Mal blinzelte. Was war passiert? War ihr Surow eingefallen?
    Nein, das war es nicht.
    Die Chawronskaja drehte sich abrupt um, umarmte Mitja und drückte ihn an ihre Brust. Sie sagte schluchzend:
    »Fünf Jahre. Ich könnte einen Sohn deines Alters haben . . .«
    Und sie schniefte. Diese Weiber sind doch wirklich seltsame Wesen!
    Bevor sie weiterfuhren, gingen sie in einen Laden für Reisende und kleideten sich ein. Für sich selber kaufte Pawlina nur ein halbes Dutzend Leibchen und eine Flasche Kölnisch Wasser, aber für Mitja wählte sie ordentlich warme Sachen: einen Pelzmantel, Filzstiefel und Fausthandschuhe aus Hundewolle. Als Kopfbedeckung bekam er ein weiches Mädchenkopftuch. Mitja protestierte aus Leibeskräften, soweit das in der armseligen Babysprache überhaupt möglich war, er wollte eine Schaffellmütze, aber die Gräfin war unerbittlich. Sie sagte: »Diese Mütze ist voller Flöhe. Warte ein wenig, mein Schatz. In Moskau kleide ich dich ein wie einen Prinzen.«
    Sie kaufte auch für die Diener ein. Außer warmer Kleidung schaffte sie für sie Waffen an, um sich gegen Räuber wehren zu können, für Lewonti und Foma je einen Säbel, für den finnischen Kutscher eine Flinte. Ihr Auge fiel auf eine englische Reisepistole, sie war klein und hatte einen Griff mit Intarsien, die kaufte sie ebenfalls.
    »Na siehst du, Mitjuschenka«, sagte sie, »wie wir beide kämpfen können. Jetzt haben wir vor nichts mehr Angst.«
    Die sechs Pferde setzten sich einträchtig in Bewegung, trabten über den in der Nacht gefrorenen Weg, und die Kutsche glitt, aus dem Schornstein Rauch blasend, nach Südosten.
    Sie frühstückten unterwegs: Piroggen und auf dem Ofen erhitzte Milch. Mitja gingen die am Morgen vergossenen Tränen seiner schönen Gönnerin nicht aus dem Kopf. Er erinnerte sich, wie die Kaiserin zu ihr gesagt hatte: »Du bist jetzt seit fünf Jahren Witwe.« Was war nur mit ihrem Gatten geschehen, und was für ein Mann war er wohl gewesen?
    »Passja«, begann Mithridates vorsichtig (das hatte sie gewollt, dass er sie einfach »Pascha« nannte, was in lispelnder Kindersprache zu »Passja« wurde), »wo ist denn dieser Onkel?«
    Gemeint war: Wo ist dein Mann? Aber sie verstand es anders.
    »Mein Onkel ist in Moskau, er ist da Gouverneur. Gouverneur, das ist ein fürchterlich wichtiger Mann, dem müssen alle gehorchen.«
    Gut, dann versuchen wir es eben direkt.
    »Passja, hast du einen Mann?«
    Er fragte das und erschrak. War das nicht zu viel für ein fünfjähriges Dummerchen?
    Kein Problem, sie lachte nur.
    »Du bist mir ein schöner Ritter. Willst du mich heiraten? Wenn du groß bist, heiraten wir.« Dann wurde sie wieder traurig. »Vielleicht habe ich dann endlich meinen Kummer überwunden.«
    Sie schwieg und zwar lange, während im Fenster die weißen Felder und die schwarzen Bäume vorüberzogen. Mitja wollte sie nicht zu sehr mit Fragen peinigen, er dachte über etwas anderes nach. Wie wäre es, wenn man den Weg zwischen Moskau und Petersburg im Winter mit Wasser begösse? Vielleicht nicht in der ganzen Breite, aber am Rand. Dann käme jeder, der wollte, auf Schlittschuhen in raschem Tempo einfach und billig ans Ziel. Lasten könnte man ja auch weiterhin mit Pferden transportieren. Eine noch bessere Idee wäre: Man könnte ein glattes Eisen- oder Kupferblech auf den Boden legen, dann könnte man zu jeder Jahreszeit, ohne durchgeschüttelt zu werden, darübergleiten. Und wenn nicht ein Blech, das recht teuer würde, dann eben . . .
    Aber er konnte den interessanten Gedanken nicht zu Ende führen, weil Pawlina auf einmal wieder anfing zu sprechen. Es war schon später Nachmittag, und sie fuhren durch

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