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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Studentenzeiten, wenn er mit seiner Freundin tanzte oder in einem engen, völlig verrauchten Imbiss auf Tuchfühlung mit ihr ging. Und auch wenn das hier nicht Soho, sondern Dmitrowka war, und auch wenn das, was neben ihm mit den Absätzen klapperte, kein echtes Mädchen, sondern ein nicht eindeutig definierbares Wesen war, so hatte er dennoch das Gefühl, als fielen mit einem Mal zwanzig Jahre von ihm ab, und sein Gang wurde federnd, sein Kopf tönend, und seine Lungen füllten sich mit Lachgas.
    »Pêle-mêle« bedeutete, wie sich herausstellte, Toleranz und Verbrüderung (oder Verschwisterung) aller erdenklichen sexuellen Orientierungen. Im Klub »Cholesterin« waren wirklich alle willkommen.
    »Hier machen sie Livemusik!«, brüllte Valja Nicholas ins Ohr, als sie in einen dunklen, proppevollen Raum gelangten, wo eine Hardrockband spielte. »Heute ist eine unheimliche Drainage, das ist einfach incroyable. Das ist › Warum? ‹ .«
    »Wie, Warum?«, fragte Fandorin verständnislos.
    »So nennt sich die Gruppe: › Warum ?‹ Der volle Name lautet: › Warum liebt einen Mohren / Othellos Desdemona? ‹ Einer der Solisten der Gruppe ist ein Schwarzer aus Burkina Faso. Das sieht man jetzt nicht, weil sie sich alle schwarz angemalt haben.«
    »Warum?«
    »Ein blöder Name, stimmt«, sagte Valja zustimmend; diesmal war sie es, die die Frage nicht verstanden hatte. »Kommen Sie, lassen Sie uns die Kurve kratzen, bevor wir das Kotzen kriegen.«
    In dem anderen Zimmer, wo Stuhlreihen vor einer Bühne aufgebaut waren, brannte dagegen grelles Licht. Das Publikum bestand fast nur aus Männern, auf dem Podium stand eine stark geschminkte Madame am Mikrofon, die Arme in die Hüften gestemmt. Bei etwas sorgfältigerer Betrachtung erwies sich die Madame als Mann in einem prächtigen Frauenkleid und roter Perücke.
    »Eine Transvestiten-Show«, erklärte Valja, die diese Karikatur auf die schöne Hälfte der Menschheit nachsichtig betrachtete. »Das ist Lola, der Conferencier. Ein geiler Typ. Sollen wir uns das angucken?«
    Señor Lola sandte dem Publikum eine Kusshand und kündigte mit kreischender Stimme an:
    »Liebe Püppis, wie froh ich bin, euch alle bei unserem › Entrenous ‹ zu sehen! Ihr seid alle so begehrenswert, so erotisch, ich bin wahnsinnig erregt, ja, ich zerfließe fast!«
    Mit diesen Worten riss er sich die Perücke vom Kopf, und man sah, wie über einen vollkommen kahlen Schädel Bäche von Schweiß rannen.
    Alle lachten und klatschten; Lola zwinkerte dem zwei Meter langen Fandorin zu, spitzte seine dicken Lippen zu einem Kussmündchen, das er hoch- und runterschob, und sagte:
    »Ich schwärme für große Männer. Besonders, wenn auch die anderen Proportionen stimmen.«
    Wieder Lachen und Beifall. Nicholas spürte viele auf ihn gerichtete neugierige Blicke und duckte sich unwillkürlich. Valja hakte ihn beruhigend unter, und diesmal ließ er es mit sich geschehen; irgendwie war es so entspannter: Von außen sah es aus wie ein normales heterosexuelles Paar.
    Lola puderte seine blaugraue Nase und erklärte feierlich:
    »Und jetzt, ihr lieben intakten Jungfernhäutchen, seht ihr die göttliche Tschi-Tschiki-San, den Star des japanischen Striptease.«
    Eine jaulende fernöstliche Musik setzte ein, und auf die Bühne kam mit kleinen Trippelschritten ein hübsches, schlitzäugiges Mädchen in einem weißen Kimono. Sie drehte sich graziös und spielte dabei mit ihrem Fächer. Sie ließ den weißen Kimono von den Schultern gleiten, darunter trug sie einen roten. Die Tänzerin hob die Schöße zur Seite und stellte ihr schönes nacktes Bein zur Schau. Der Saal pfiff und johlte begeistert.
    »Los, wir gehen«, sagte Valja und zog Fandorin am Ärmel. »Von wegen Japanerin, das ist ein shithead aus Ulan Ude. Verflixt, dass die so obergeil auf den sind!«
    »Bist du eifersüchtig?«, fragte Nicholas lachend, während er sich zum Ausgang durchkämpfte.
    Valja fauchte:
    »Das hätte mir gerade noch gefehlt, vor allen möglichen Päderasten zu tanzen.«
    Aber man sah, dass der Erfolg der Pseudojapanerin ihm schwer zu schaffen machte.
    Im dritten Saal, dem größten von allen, befand sich das Restaurant, und in einer Ecke hinten war Platz zum Tanzen, von wo man monotone Musik hörte, die ein bisschen so klang wie das quietschende Geräusch, das Scheibenwischer machen, wenn sie über die trockene Glasscheibe rutschen.
    »Super!«, sagte Valja und presste die Hände an die Brust. »Das ist Musik! Das hat drive! Der heizt ein!

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