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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ihrer Person Gestalt angenommen, umso mehr, als am Hals der Unbekannten ein Geschmeide blitzte und im Ohr ein Brillant in makellosem Regenbogenleuchten erstrahlte. Und erst dann erreichte Nicholas der Sinn der merkwürdigen Frage: Sie hatte Valja gemeint. Sie dachte, er sei mit seiner Tochter in den Klub gekommen. War der Altersunterschied denn wirklich so auffällig? Aber andererseits, wieso wunderte er sich eigentlich? Wie alt war Valja denn: zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig?
    »Na, habe ich Sie getroffen? Das war doch nicht ernst gemeint. Welcher Vater würde sein Töchterchen denn in diese Spelunke mitnehmen? Allenfalls irgend so ein Blutschänder. Aber danach sehen Sie eigentlich nicht aus.«
    Die Unbekannte war geil gestylt: Ihre schwarzen Haare schmiegten sich in zwei Herrenwinkern an die Wangen. Die Mulden unter den Backenknochen wirkten wie fliederfarbene Schatten. Ein richtiger Sog, dachte Fandorin. Ja klar, die »Unbekannte« aus dem gleichnamigen Gedicht von Alexander Blok: »Parfüm verströmend und den Duft von Nebeln«.
    »Wonach sehe ich denn aus?«, fragte er, unwillkürlich ihrem Ton, seiner sorglosen Stimmung und dem Zauber des Augenblicks nachgebend.
    Sie rückte etwas an ihrem Stuhl, um ihn besser sehen zu können, blieb aber an ihrem Tisch sitzen. Nach kurzem Nachdenken antwortete sie:
    »Nach einem Mann, der über das Alter hinaus ist, in dem einem Überraschungen gefallen. Der also aufhört, ein Mann zu sein. Und . . .« Das vorher blassrote Feuer der Zigarette wurde auf einmal scharlachrot und beleuchtete eine Sekunde lang die ironische Kurve ihrer schmalen Lippen. »Und dann sehen Sie noch aus wie ein Riesenschiff, das es in einen Kanal namens Moskwa verschlagen hat.«
    »Wegen meiner Größe?«, fragte Nicholas.
    »Nein. Weil Sie sich im Alltagsleben dazu zwingen, sich wie ein Ausflugsbötchen zu benehmen, und Ihnen das nicht besonders gut gelingt.«
    Sie will mich anmachen, wurde Fandorin auf einmal bewusst. Früher hielten im Restaurant die Männer nach den Frauen Ausschau. Die Unverschämtesten warteten den Moment ab, wenn der Begleiter der Dame tanzen ging. Jetzt war die Revolution der Geschlechter angesagt, die Rollen änderten sich. Das selbstbewusste Raubtier-Weibchen machte sich nachts auf die Jagd. Sie verdrehte einem den Kopf mit ihren Worten, schenkte immer ordentlich Alkohol nach, kutschierte einen mit dem Auto und sagte einem am Morgen: »Tschüs, mein Goldschatz. Ich ruf dich an.«
    »Was lächeln Sie?« Die Unbekannte zog wieder an der Zigarette. »Bin ich Ihnen zu direkt?«
    »Ja, ein bisschen«, sagte er lachend.
    »Mit Männern geht das nicht anders«, erklärte sie kaltblütig. »Da muss man Perlen vor die Säue werfen. Zumal wir wenig Zeit haben, Ihre Pionierin ist sicher gleich wieder da. Langweilen Sie sich denn nicht mit ihr? Okay, Sie haben es mit so einer Minderjährigen getrieben, haben sich also bewiesen, dass Sie noch ganz toll sind, aber dann kann sie doch wirklich wieder mit ihren Altersgenossen im Sandkasten spielen gehen. Ein gewöhnliches dummes Ding. Vielleicht wird sie irgendwann mal eine richtige Frau, aber allzu bald bestimmt nicht.«
    »Ich kann Ihnen versichern, Valja ist alles andere als gewöhnlich, um nicht zu sagen, höchst ungewöhnlich.«
    Die Unbekannte lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
    »Sie interessiert mich nicht. Hören Sie, ich sage so etwas nicht zweimal. Und Zeit zum Nachdenken lasse ich Ihnen auch nicht. Wir stehen jetzt auf und gehen. Ohne Abschied, Lügerei von wegen dringender Angelegenheit und dergleichen. Ich möchte, dass das Mädchen, wenn es zurückkehrt, einen leeren Stuhl vorfindet. Stopp! Hier spreche ich, Sie halten erst mal den Mund. Wenn Sie denken, ich bin jeden Tag so unternehmungslustig – nein, das bin ich nur, wenn mich der Hafer sticht. Sie können es für eine Laune halten. Also: ja oder nein?«
    Dabei klang sie so lässig, als zweifele sie absolut nicht an der Antwort, und das war das Verführerischste.
    »Nein«, sagte Nicholas. »Danke, aber nein.«
    »Aber doch nicht wegen dieses Flittchens?«, sagte die Frau weniger beleidigt, als verwundert. »Gucken Sie sich die doch einmal genauer an.«
    Fandorin drehte sich um und guckte.
    Valja schwebte im freien Flug: küsste sich schwesterlich mit einem feuerroten Mädchen ab, setzte sich sofort danach zu zwei jungen Machos kaukasischen Aussehens, fing lebhaft an, ihnen etwas zu erzählen, und gestikulierte. Um diese Dame musste man sich keine Sorgen

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