Der Favorit der Zarin
machen. Nicki wusste, dass sie nicht auf den Mund gefallen war. Der leichte und zerbrechliche Eindruck, den sie machte, täuschte. Außer mit modernem Tanz beschäftigte sich Valja noch mit einem fernöstlichen Kampfsport (irgend so ein Hahnenkampf, der Name endete mit »do«). Ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit, als Fandorin noch nicht alle Talente seiner Assistentin kennen gelernt hatte, musste er einmal in einem Cafe für sie einstehen. Der Angreifer war entschieden kleiner als Nicholas, aber doppelt so breit in den Schultern, so dass die Chancen für einen Sieg bei Null lagen. Aber es war nichts zu machen, der Konflikt (übrigens von Valja selber provoziert) drohte sich gewalttätig zu entladen. Während Nicki mit blassem Gesicht stammelte, er werde jetzt die Miliz holen, trat Valentina hinter seinem Rücken hervor, lupfte ihren Minirock, legte so etwas wie eine Pirouette hin, holte mit dem Bein aus und beförderte den Kraftprotz mit einem gezielten Tritt zu Boden. Dann holte sie ihren Taschenspiegel heraus und puderte sich die Nase.
»Nein, nicht ihretwegen«, sagte Nicholas. »Und nicht deshalb, weil ich Sie nicht anziehend finde. Ganz im Gegenteil. . .«
Die Unbekannte kicherte, als habe er etwas Lustiges, aber nicht ganz Anständiges gesagt.
»Du musst es ja wissen, du Dummkopf.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Du wirst dir hinterher noch in den Hintern beißen. Solche Abenteuer bieten sich nur ein einziges Mal im Leben an. Und bei weitem nicht jedem.«
Sie war gekränkt; das konnte man ja verstehen. Aber eine Dame beleidigen, die ihm schließlich einen verdammt schmeichelhaften Vorschlag gemacht hatte, das wollte Nicholas nun wirklich nicht. Sein Vater hatte immer gesagt: »Ein Gentleman, Nikolka, das ist jemand, der nie Leute beleidigt, die er nicht beleidigen will.«
»Verstehen Sie«, sagte Fandorin und lächelte entmutigend. »Ich liebe die Frauen, und wie Karl Marx schon sagte: nichts Menschliches ist mir fremd. Aber für russische Verhältnisse habe ich erst recht spät geheiratet, so dass ich genügend Zeit hatte, meine Neugier in Bezug auf die Vielfalt der Frauentypen zu befriedigen. Ich habe lange nach der Frau gesucht, in deren Person ich alle Frauen der Welt lieben kann, und sie gefunden. Und was meine Begleiterin angeht, so irren Sie; wir haben nichts miteinander.«
»Du liebst deine Frau so sehr?«, fragte die Unbekannte mit ernstem Gesicht, als hätte sie eine so ungewöhnliche und wichtige Nachricht gehört, dass sie eine Bestätigung brauchte. Und als er nickte, winkte sie genervt ab. »Gut, das ist deine Sache, was ändert das schon? Ich will ja schließlich nicht vor den Traualtar mit dir treten. Wir vergnügen uns, und das ist alles. Ich vergesse dich sofort und du mich auch.«
»Und der Betrug?«, sagte er leise. »Meine Frau wird es nicht erfahren, aber ich werde ja wissen, dass ich sie betrogen habe.«
Die Frau drückte die Kippe im Aschenbecher aus, grinste verächtlich und sagte:
»Jetzt reicht’s. Was habe ich das denn nicht sofort gesehen? Ich kenne diese Prinzipienreiter. Du quälst deine Frau, und vor den anderen Frauen hast du Angst. Hast Angst, dass es bei dir mit keiner anderen klappt, das ist der wahre Grund für deine Treue.«
Sie stand abrupt auf, so dass der Stuhl über den Boden polterte, und setzte sich an die Bar.
Nun ist sie doch beleidigt, dachte Fandorin niedergeschlagen.
Die Unbekannte saß jetzt weit weg, war aber besser zu sehen als aus der Nähe, weil die Bar von einer Unmenge Lämpchen beleuchtet war. Während er die gut gebaute Silhouette der Verführerin und ihren bildschönen Fuß betrachtete, der lässig mit dem halb ausgezogenen Pumps wippte, versuchte sich Nicholas vorzustellen, wie das mit ihnen gelaufen wäre. Er hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich das vorzustellen, und zwar so plastisch, dass er anfing, auf dem Stuhl herumzurutschen.
Seine Stimmung war auf dem Nullpunkt. Erstens hatte er Gewissensbisse Altyn gegenüber wegen der Zügellosigkeit, die er seiner Phantasie gestattet hatte. Nannte man so etwas nicht »in Gedanken sündigen«? Aber noch stärkere Gewissensbisse hatte er, weil sich in seinem Inneren Bedauern regte. Wie hatte sie doch gesagt: »Du wirst dir hinterher noch in den Hintern beißen?«
Was habe ich hier überhaupt zu suchen, schimpfte Fandorin mit sich selber. Na, was für ein toller Liebhaber verbotener Genüsse ich doch bin! Ich würde besser zu Hause bei meinen Kindern sitzen und mich freuen, dass ich noch
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