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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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In zweihundert Jahren wird man von uns sagen: Die waren lucky bastards, sie waren Zeitgenossen des großen DJs Ritter von Gluck.«
    »Hat diese Musik denn irgendetwas mit Gluck zu tun?«
    Fandorin hörte genau hin, konnte aber keine Ähnlichkeit entdecken.
    »Finden Sie etwa nicht?«, fragte Valja mit halb geschlossenen verschleierten Augen. »Ich bin gleich wieder da, ich muss einem call of nature folgen.«
    Sie ging zur Toilette; das dauerte nur zwei Minuten, aber als sie zurückkam, war sie nicht wiederzuerkennen: in den geweiteten Pupillen glitzerten wilde Fünkchen, der Mund war zu einem seligen Lächeln verzogen, und ihr ganzer Körper vibrierte im Rhythmus der Musik.
    »Chef, avanti! Ab ins Nirwana!«, rief sie aus, packte Nicholas’ Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. »Sonst sterbe ich auf der Stelle! Da ist der Donner, und ich bin der Blitz.«
    Offenbar hatte sie irgendeinen Mist geschluckt oder inhaliert, erriet Fandorin. Ecstasy oder Kokain. Vielleicht auch »Blitz«, es gab so einen Stoff. Aus Erfahrung wusste er, dass es jetzt völlig zwecklos war, Valja den Kopf zu waschen.
    Aber er schaffte es nicht stillzuhalten und sagte zornig:
    »Geh, geh du bloß und tob dich aus. Wenn mit dir wieder etwas anzufangen ist, dann müssen wir miteinander reden.«
    Aber Valja ließ das jetzt völlig kalt. Sie hatte sich offenbar schon von der Erde losgelöst und brüllte den schwachsinnigen Satz:
    »Mach den Stall zu, es raucht!«
    Und rhythmisch zuckend ging sie Richtung Tanzfläche.
    Nicki blieb allein.
    Er nuckelte mit einem Strohhalm an seinem leichten »Tequila-Sunrise«-Cocktail, betrachtete gelassen die unbekümmerten Bewohner des dritten Jahrtausends der christlichen Ära und dachte darüber nach, wie Moskau und die Moskauer sich geändert hatten seit der Zeit, da er erstmals in diese Stadt gekommen war. Das war erst sechs Jahre her, aber Moskau war nicht wiederzuerkennen. Moskwa: Im Russischen ist die Stadt Moskau eindeutig eine Frau. Ihr Zeitgefühl ist unterentwickelt. Deshalb ist sie im Unterschied zu männlichen Städten gleichgültig gegenüber der Vergangenheit und lebt ausschließlich in der Gegenwart. Die Helden und Denkmäler von gestern bedeuten ihr wenig. Moskau trennt sich ohne Mitleid von ihnen, die Stadt hat ein kurzes Gedächtnis und ein unsentimentales Herz. Ein Mann hat Herzklopfen und Tränen der Rührung in den Augen, wenn er eine frühere Geliebte trifft. Eine Frau oder zumindest die meisten von ihnen interessieren sich nicht für ein solches Treffen, ja, es ist ihnen sogar unangenehm, denn es hat mit ihren gegenwärtigen Problemen und ihrem heutigen Leben nichts zu tun. Genauso ist es mit Moskau, und es ist völlig sinnlos, der Stadt das übel zu nehmen. Wie es in einem schönen Lied heißt, ist Moskau wie das Wasser, das die Form des Gefäßes annimmt, in dem es sich befindet.
    Als Fandorin die Stadt zum ersten Mal sah, war sie ein armes Aschenbrödel, das nach bunten ausländischen Markenzeichen schielte und andere um ihren Reichtum beneidete. Aber die materielle Lage der Stadt hatte sich seitdem verbessert, Moskau hatte den angestammten Speck wieder angesetzt und war zu seiner natürlichen Beschäftigung zurückgekehrt. Die Stadt erinnerte Nicholas am ehesten an die typische Frauenfigur bei Tschechow: eine schöne, ein wenig überreife Dame, etwas zynisch und übersättigt, nicht allzu glücklich in der Liebe, eine Frau, die schon alles auf der Welt gesehen hat und doch noch nach dem Leben giert. Tagsüber ist Moskau eine Frau vom Typ Arkadina oder Ranjewskaja oder Wojnizewa, die ihre Launen hat und wie eine Schlampe herumläuft, aber am Abend, wenn sich die Gäste versammeln, malt sie sich an, putzt sich heraus, zieht ihr feuriges Brillantcollier an, behängt sich mit strahlenden Ohrringen und verwandelt sich in eine solche Salonlöwin, dass man glatt erblinden kann.
    »He, Sie da, stranger in the night«, hörte er plötzlich eine wohlklingende Frauenstimme. »Ist es schwer, der Vater einer erwachsenen Tochter zu sein?«
    Nicholas drehte sich um und sah am Nachbartisch, der gerade eben noch leer gewesen war, eine Frau sitzen. Ihr Gesicht sah man im Halbdunkel nur undeutlich, aber dass sie eine Schönheit war, stand außer Frage: sonst hätte ihre Stimme nicht so sicher geklungen, ihre Augen hätten nicht so träge geleuchtet und die feuchte Zahnreihe hätte nicht so siegreich geglänzt. Im ersten Moment schien es, als habe die Stadt Moskau, von seiner eigenen Phantasie gewebt, in

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