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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
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drückte sie zurück in den Sessel, und sie spürte wieder die Wirkung des Mittels, das er ihr gespritzt hatte.
    »Bitte, Gerd, lass mich gehen. Ich verrate auch nichts. Aber bitte lass mich gehen.«
    Er lächelte.
    »Aber wir haben doch gerade erst angefangen, Jana.«
    Er trat zu der Puppe mit dem Mantel.
    »Gefällt dir mein Kleidungsstück? Ist es nicht schön geworden? Aber es ist noch nicht ganz fertig.«
    Er nahm den Mantel herunter und hielt inne.
    »Du verstehst das alles, nicht wahr? Die Haare eines Menschen sind wie das Federkleid eines Vogels.«
    Er sah sie an.
    »Ist dir denn nie etwas an mir aufgefallen, Jana?«
    Sie konnte nicht antworten. Alles war so bleiern um sie herum. Sie wünschte, dass dieser Alptraum endlich endete. Aber es war ja kein Traum. Sie wusste, dass sie nicht schlief.
    Und plötzlich zerrte er an seinen Haaren, und sie sah, dass es eine Perücke war. Unter der Perücke war er kahl. Dann zupfte er sich die Augenbrauen und die Wimpern ab.
    »Nichts davon ist echt«, sagte er. Dann stieß er ein seltsames Lachen aus. »Ich habe nicht einmal Haare am Arsch. Sind mir alle ausgegangen, als ich vierzehn war.«
    Er trat näher.

    Ihr fiel ein, dass sie einmal auf seine Hände geschaut und sich gewundert hatte. Ihr fiel ein, dass Gerd immer lange Ärmel getragen hatte.
    »Du hast mich nie richtig angesehen, Jana. Weißt du, wie kränkend das ist?«
    Sie schluckte.
    »Aber der Mensch ist ja wandlungsfähig, nicht wahr?«
    Er nahm den Mantel, berührte ihn. Er schmiegte sich an die Haare.
    Dann zog er den Mantel an.
    Meine Haare, dachte sie.
    »Wie gefalle ich dir, Jana?«, fragte er und trat näher.
    Und wieder wollte sie schreien.
     
    Er öffnete die Ledertasche und nahm die Haare heraus. Schon bei der ersten Berührung durchzuckte ihn die Erregung. Er presste sich die Haare an das Gesicht und an den Hals. Schließlich öffnete er seine Hose und legte sich die Haare auf den Unterleib.
    Er atmete hastig. Er wollte es tun. Doch dann schüttelte er sich. Noch nicht, dachte er, ich muss es mir aufsparen.
    Er nahm den Mantel.
    Er setzte sich und begann, die Haare auf den Mantel zu knüpfen. Das war viel Arbeit. Jedes einzelne Haar musste mit dem Haken eingezogen werden. Er würde es nicht bis zum Abend schaffen, aber das machte nichts, den Rest der Haare könnte er auch aufkleben.
    Er schaute zu Jana hin.
    Sie lag in dem Sessel, reglos.
    Er lächelte.

    Haare, wie schön es war, von ihnen berührt zu werden.
    Haare waren wie Federn, und Federn ergaben ein Kleid.
    Er erinnerte sich an die Nacht im Kinderheim, als er den Dompfaff auf der Terrasse gefunden hatte. Seine Flügel waren gebrochen, er war wohl gegen die Fensterscheibe geprallt, aber er lebte noch. Er nahm ihn mit in sein Zimmer, betrachtete ihn erst andächtig und zerquetschte ihn dann in der Hand.
    Er spürte das warme Blut auf seiner Haut. Schließlich rupfte er ihm die Federn heraus.
    Er erinnerte sich, wie er nackt auf dem Bett gelegen hatte, bedeckt von den Federn. Nun war es, als hätte er wieder Haare, nun trug er einen Schmuck.
    Es erregte ihn immer wieder aufs Neue, sich mit den blutigen Federn zu bedecken.
    »Alopecia universalis« hieß die Krankheit, totaler Haarausfall am ganzen Körper.
    Der Arzt hatte gesagt, es könnte seelische Ursachen haben.
    Die Seele, sein dunkler Kontinent.
    Wenn ihn ein Mädchen verhöhnte, weil er völlig kahl war, wenn ihn jemand spöttisch fragte, ob er denn wenigstens Haare am Sack hätte, stellte er sich einfach vor, wie ihn die Vögel umgaben, wie es sich anfühlte, wenn ihre Federn auf seiner nackten Haut lagen.
    Und wenn er sie zerdrückte und ausweidete, bekam er sofort eine Erektion.
    Er entlud sich in ihre geöffneten Bauchhöhlen.
    Dabei dachte er an seine Mutter.
    Er ging sie besuchen.

    Sie hatte jetzt eine andere Familie, zwei kleine Kinder und ein hübsches Reihenhaus.
    Er gehörte nicht mehr dazu.
    Schließlich wollte sie ihn überhaupt nicht mehr sehen.
    Nun blieb ihm nur noch die Erinnerung an seine schönste Zeit: Sie trat zu ihm ans Bett, und er war mit ihr allein.
    Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen Gutenachtkuss.
    Ihr Haar berührte ihn dabei im Gesicht und am Hals.
    Ihr Haar berührte ihn am Bauch.
    Ihr schönes blondes Haar.
    Aber dann –.
    Der Haken steckte im Mantel fest, er musste ihn mit einem Ruck herausziehen.
    Er fluchte.
    Er dachte an den Kerl.
    Der Kerl, der sich sein Vater nannte, vor seinen Augen die Mutter vergewaltigte und schlug, immer und immer

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