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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
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Uhr. Wieder einmal hatte er das Gefühl, dass sie sich im Kreis drehten und wertvolle Zeit verloren.
    In einer kurzen Pause verdrückte er sich auf den Flur und wählte Jana Michels Handynummer.

    Er hatte Glück, sie hob nach dem zweiten Klingeln ab.
    »Hallo, hier ist Nils Trojan.«
    »Hallo, Herr Trojan.«
    Ihre Stimme klang erfreut. Er atmete auf.
    »Ich hoffe, ich störe nicht an einem Samstagabend.«
    »Nein, nein.« Er hörte sie lachen. »Ach, was heißt schon Samstagabend. Ich bin auf dem Weg zu einer Patientin.«
    »Das ist aber ungewöhnlich am Wochenende.«
    »Ja, schon, aber na ja, es scheint sich um einen Notfall zu handeln. Sie klang sehr verzweifelt am Telefon.«
    Trojan schwieg.
    »Wie sieht es bei Ihnen aus?«, fragte sie. »Sind Sie auch noch am Arbeiten?«
    »Ja, es ist genauso zum Verzweifeln. Wir kommen einfach nicht weiter, und ich –«
    Er unterbrach sich. Wie gern würde er sie heute Abend sehen.
    Und dann sagte er: »Es tut mir so leid, dass ich neulich einfach aus der Praxis verschwunden bin, ohne wenigstens Hallo zu sagen.«
    »Nun, das ist Ihr Job, nehme ich an.«
    Ich möchte dich treffen. Heute Abend noch. Wie gern hätte er diese Worte ausgesprochen.
    Doch sie tauschten bloß noch ein paar Höflichkeitsfloskeln aus, vereinbarten einen Termin für die nächste Woche, dann legten sie auf.
    Er starrte lange Zeit auf das Telefon in seiner Hand.
    Schließlich gab er sich einen Ruck und ging wieder in den Sitzungsraum.

    Das Haus in der Mainzer Straße war ein efeuberankter Altbau. Jana Michels schaute an der Fassade hoch, dann ging sie zu der Eingangstür und suchte auf der Klingelleiste nach dem Namen »Wiese«.
    Sie drückte auf den Knopf, und kurz darauf wurde geöffnet. Sie stieg die Treppen zum ersten Stockwerk hinauf und betätigte abermals die Klingel.
    Wieder fragte sie sich, warum sie eigentlich so gutmütig war. Schon als Kind war sie verdammt hilfsbereit und folgsam gewesen.
    Die Tür wurde geöffnet, doch nur einen Spaltbreit.
    Jana wartete darauf, dass sich Franka Wiese zeigen würde.
    Doch nichts geschah.
    Leicht irritiert drückte sie die Tür auf.
    Dann ging sie hinein.
    Es war sehr dunkel im Flur. Ihre Patientin schien in den angrenzenden Zimmern die Vorhänge zugezogen zu haben.
    »Frau Wiese?«, fragte sie leise.
    Niemand antwortete.
    Sie ging noch ein paar Schritte weiter in den Flur hinein.
    Da trat sie auf etwas Weiches.
    Etwas lag vor ihr auf dem Boden.
    Sie konnte nicht genau erkennen, was es war.
    Sie bückte sich.
    Da sah sie es.
    Es war ein toter Vogel. Er hatte keine Federn mehr. Und er war zerfetzt, die Flügel standen ab, verdreht, gebrochen.
    Wo einmal der Bauch gewesen war, quollen die Gedärme hervor.

    Jana Michels zuckte erschrocken zurück.
    Nun hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt.
    Sie erkannte noch mehr.
    Ihr Atem stockte.
    Da waren etliche Vögel.
    Sie lagen überall verteilt auf dem Dielenboden.
    Tot, federlos und zerfetzt.
    Jana Michels stieß einen unterdrückten Schrei aus.
    In diesem Moment hörte sie ein Geräusch.
    Hinter ihr fiel die Wohnungstür ins Schloss.

VIERTER TEIL

DREIUNDZWANZIG
    W illkommen«, sagte eine Stimme.
    Sie klang völlig verzerrt, sprach wie aus weiter Ferne zu ihr.
    Dabei war die Gestalt ganz nah.
    Sie stand vor der verschlossenen Wohnungstür. Sie hatte kein menschliches Gesicht. Etwas ragte daraus hervor, lang und spitz. Jana erkannte das Blut daran.
    Die Gestalt kam näher.
    Jana versuchte sich auf die Augen zu konzentrieren. Wenn es möglich wäre, der Gestalt in die Augen zu schauen, könnte sie vielleicht ihre Angst besiegen.
    Aber sie konnte die Augen nicht erkennen. Sie waren hinter dunklen Gläsern verborgen.
    »Willkommen«, sagte die Stimme noch einmal, blechern, unheimlich.
    Sie wich langsam vor ihr zurück.
    Sie wollte schreien, aber sie brachte keinen Ton hervor.
    Die Gestalt trug eine Sturmhaube aus einem festen Stoff. Der gesamte Körper steckte in einem dunklen Gewand.
    Jana wich noch einen Schritt zurück. Sie spürte, wie sie auf einen toten Vogel trat. Es glitschte unter ihr.
    Ihr Herzschlag stolperte.
    Der Schweiß schoss ihr aus allen Poren.

    Reiß dich zusammen, Jana, sprach sie in Gedanken zu sich selbst. Finde einen Ausweg, schnell. Du musst hier raus.
    Aber die Gestalt kam immer näher.
    Und dann streckte sie die Arme nach ihr aus. Jana sah die Handschuhe, und an den Spitzen waren Krallen.
    Doch als sie genauer hinblickte, bemerkte sie, dass es Rasierklingen waren.
    Die Gestalt

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