Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
Vom Netzwerk:
schon.«
    »Halt durch, Paps. Bald ist es geschafft. Du schnappst dir den Kerl.«
    Wie viele Tote wird es noch geben?, fragte er sich.
    Er atmete tief durch.
    »Ich hab dich lieb, Em.«
    »Ich hab dich auch lieb.«
    Sie legten auf. Für ein paar Sekunden stand er einfach nur reglos da. Bilder schossen durch seinen Kopf, Bilder von Emily als Kind, wie sie auf ihn zurannte. Er nahm sie in die Arme und wirbelte sie durch die Luft. Sie lachte, jubelte auf, die Welt flog um sie beide herum.
    Schließlich rieb er sich energisch mit dem Handrücken diese eine verdammte Träne aus dem Gesicht und schloss das Fenster.
    Nicht nachlassen, dachte er, zurück an die Arbeit.
     
    Es war laut, bedrückend laut. Der Hermannplatz wurde vom Feierabendverkehr umtost, türkische und arabische Marktleute schrien ihre Waren aus.
    Ein Pitbull war an einem Poller festgebunden. Er bellte ununterbrochen. Geifer sprühte aus seinem Maul.
    Ihre Patientin stand unsicher in dem Menschengewühl, sie war blass und hatte die Schultern hochgezogen.

    Als ein Notarztwagen über die Kreuzung preschte, zuckte sie unter dem Lärm der aufheulenden Sirene zusammen.
    Da hob sie den Blick, erkannte sie und trat zögernd auf sie zu.
    Jana Michels begrüßte sie und nahm ihre Hand, sie fühlte sich kalt an und war voller Schweiß.
    »Kommen Sie, wir schaffen das schon.«
    An der Treppe zum U-Bahn-Schacht hatten sich die Junkies versammelt. Ihre Hunde kläfften nicht, aber sie hatten sich vor den Stufen breitgemacht. Sie mussten ihnen ausweichen.
    Jana spürte, wie sich ihre Patientin verkrampfte, und redete ihr gut zu.
    Die Stufen konnten sie nur sehr langsam hinuntergehen.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    Franka Wiese gab keine Antwort.
    »Es kann nichts passieren, glauben Sie mir.«
    Am Ticketautomaten stürmten mehrere Schwarzhändler auf sie zu.
    »Willst du Fahrschein, willst du Fahrschein?«, wisperten sie. Jana Michels schüttelte den Kopf und warf ihre Münzen ein.
    Sie nahm das Ticket aus dem Automaten und steuerte mit ihrer Patientin auf den Bahnsteig zu.
    »Wenn es nur einer von den neueren Zügen ist.«
    »Wo ist da der Unterschied?«
    »Die neueren sind weiträumiger, man hat mehr Platz.«
    »Beruhigen Sie sich, ich bin bei Ihnen.«
    Der Zug fuhr ratternd in den Bahnhof ein, die Türen sprangen auf. Jana Michels stieg mit ihr ein.

    Es war einer von den älteren Modellen. Franka Wiese zog den Kopf ein. Sie mussten stehen, es war kein Sitzplatz frei.
    »Wohin fahren wir eigentlich?«
    »Bis zum Alex, dort steigen wir kurz aus, und dann fahren wir gleich wieder zurück. Ist das okay?«
    Franka Wiese sah sie nur an.
    Jana Michels bemerkte das Flackern in ihren Augen. Sie drückte ihre Hand.
    Die Türen schlugen zu, und der Zug fuhr ab.
    »Wie geht es Ihnen?«
    Der Mund der Patientin öffnete sich. Wortlos schnappte er wieder zu.
    »Reden Sie. Das wird Ihnen helfen.«
    Sie klopfte mit der Hand auf ihr Brustbein.
    »Mein Herz. Es rast.«
    »Es kann nichts passieren.«
    Sie zitterte.
    Nur kurze Zeit später hielten sie an der Station Schönleinstraße.
    »Atmen Sie tief durch, das hilft.«
    Franka Wiese schnappte nach Luft.
    Die Bahn fuhr weiter.
    »Was sollte denn passieren? Es ist ein sicheres Verkehrsmittel. Es ist sicherer, als mit dem Auto zu fahren. Sie haben doch einen Führerschein?«
    Sie nickte.
    »Wenn Sie sich ins Auto setzen, denken Sie dann auch an einen Unfall?«
    »Es ist nicht der Gedanke an einen Unfall. Es sind die vielen Menschen hier.«

    Jana Michels schaute sich um. Die Fahrgäste standen dicht bei dicht. Da war jemand, der ihr einen verstohlenen Blick zuwarf. Doch nur kurz darauf konnte sie das Augenpaar in der Menge nicht mehr ausmachen.
    Rasch wandte sie sich wieder ihrer Patientin zu.
    »Niemand tut Ihnen etwas. Wir sind in Sicherheit.«
    Der Zug hielt am Kottbusser Tor. Es wurden zwei Sitzplätze frei.
    »Wollen wir uns setzen?«
    Die Patientin war bleich. Sie zitterte am ganzen Körper.
    »Ich muss stehen bleiben.«
    »Warum?«
    »An der Tür ist die Luft besser.«
    »Die Luft ist überall gleich.«
    »Nein. Bitte.«
    »Also schön.«
    Von Station zu Station steigerte sich die Panik. Sie musste feststellen, dass sie ihre Patientin einfach nicht beruhigen konnte.
    Was ist mit mir los?, dachte sie. Ich bin nicht richtig bei der Sache. Sie hat Angst, ich muss ihr helfen. Dafür bin ich schließlich da.
    Doch alles, was sie tun konnte, war, ihre Hand zu halten.
    Endlich hatten sie den Bahnhof Alexanderplatz erreicht. Sie stiegen aus.

Weitere Kostenlose Bücher