Der Fehler des Colonels
verließ das Trudeau House auf demselben Weg, auf dem er hereingekommen war, und lief die zehn Blocks zurück zu seiner Wohnung. Dort setzte er sich mit der Absicht zu arbeiten an den Schreibtisch in seinem Gästezimmer. Doch nachdem er fünf Minuten auf den Bildschirm gestarrt hatte und nur die verstümmelten Leichen seiner ehemaligen Kollegen in seinem Kopf herumschwirrten, bemerkte er, dass er sich etwas vormachte. Er stand unter Schock. Er würde heute überhaupt nichts arbeiten können. Und er würde auch nicht ignorieren können, was seit gestern Abend passiert war.
Daria hatte einen Teil ihrer Ausbildung bei ihm gemacht. Und als ihr Stationschef hatte er immer auf sie aufgepasst, wie auch auf die anderen Operations Officers. Jetzt, nach Logans Tod, hatte sie niemanden mehr in Aserbaidschan, den sie um Hilfe bitten konnte.
Aber der Gedanke daran, dass er womöglich den Kopf riskieren musste, um noch mehr für sie zu tun, ließ seine Alarmglocken schrillen. Führ dich nicht auf wie ein weltfremder Gutmensch, sagte er sich. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass er die Situation durch seine Einmischung verschlimmerte. Dass es so lief, hatte er immer und immer wieder erlebt. Warte, bis die Agency die Station neu besetzt hat. Lass sie diesen Saustall ausmisten.
Aber dann konnte es schon zu spät sein.
»Scheiße«, murmelte er, nahm das Telefon und wählte. Er hing lange in der Warteschleife, doch schließlich nahm sein Kontaktmann ab. Mark sprach kurz mit ihm und legte wieder auf.
Ein paar Minuten später war er auf der Straße und startete seinen Lada Niva, einen russischen Jeep mit Allradantrieb, den er sich gekauft hatte, als er Dozent wurde.
Er fuhr nordwärts ins Zentrum der Halbinsel Absheron, eine vernarbte und verschmutzte Landzunge, die sechzig Kilometer ins Kaspische Meer ragte. Die Straßen waren überfüllt mit einem seltsamen Mix von gepflegten Autos aus dem Westen – BMW, Mercedes, Land Cruiser – und alten russischen Klapperkisten, die giftige Abgase ausstießen. Er kam an baufälligen Sowjetfabriken vorbei, manche arbeiteten noch mit halber Kraft, andere waren komplett stillgelegt, viele standen direkt neben gleißenden neuen Hochhäusern. Pipelines, riesige Werbetafeln mit dem Foto des Präsidenten und Müllberge säumten die Straße.
In der Nähe der Ölfelder von Balakhani – eine abscheuliche Einöde voller Ölschlamm und verrosteter Pferdekopfpumpen – hielt er am Straßenrand und kaufte Pistazien von einem Mann, der den Kofferraum seines zerbeulten Trucks als Marktstand benutzte.
Direkt hinter den Ölfeldern öffnete sich die Landschaft, das höllische Bild der von Industrieabfällen verschandelten Gegend wurde von grünen Feldern durchsetzt. Bei einer Ansammlung leer stehender Häuser auf der linken Seite der Straße steuerte Mark auf einen Kiesplatz zu und parkte vor einer Zypresse, an der sich ein streunender Hund herumtrieb. Eine Minute später hielt ein schwarzer Mercedes neben ihm. Der Fahrer stieg aus und öffnete die Hecktür.
»Bist du’s wirklich, Sava?« Der dunkelhaarige Mann sprach Englisch mit starkem Akzent. Er trug einen anthrazitgrauen Anzug, eine biedere rote Krawatte und lange, spitze Schuhe, die, wie Mark fand, auch zu einer Hexe gepasst hätten. In seinem Gesicht zeichnete sich schon ein Bartschatten ab und er hatte eine große Nase. »Wenn ich dieses Auto sehe«, sagte er stirnrunzelnd und zeigte auf Marks Niva, »denke ich, vielleicht ist ein Zigeuner gekommen, oder sogar ein Kurde.«
Mark lächelte. »Ich mache Abstriche.«
»Abstriche, was sind Abstriche?«
»Du machst Abstriche, wenn du anfängst zu unterrichten«, sagte Mark jetzt auf Aseri.
Sie gaben sich die Hand.
»Ah, ja. Ich erinnere mich. Western University. Ich muss zugeben, ich war nicht ganz sicher, ob du – wie soll ich es sagen – ganz offenzu mir warst, als du mir von deinen Plänen erzählt hast. Aber meine Leute haben berichtet, dass du tatsächlich unterrichtest. Sie lernen viel von dir.«
»Über manche Studenten hab ich mich schon gewundert.«
»Meine Männer waren hoffentlich aufmerksam.«
»Sehr sogar. Danke, dass du gekommen bist, Orkhan.«
Orkhan Gambar war der aserbaidschanische Minister für Nationale Sicherheit. Da die Vereinigten Staaten und Aserbaidschan gut miteinander auskamen, wusste Orkhan von Marks CIA-Verbindungen, und sie hatten häufig Informationen ausgetauscht. Aber weil die CIA-Präsenz in Aserbaidschan nicht offiziell eingeräumt
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