Der Fehler des Colonels
will ich deine Zeit nicht länger beanspruchen.« Er wandte sich zum Gehen, fügte dann aber noch hinzu: »Ich weiß es zu schätzen, dass du dich mit mir triffst.«
»Vielleicht«, rief Orkhan, »interessiert es dich, dass ich als zusätzliche Schutzmaßnahme das Mädchen von Gobustan in ein Haftzentrum hier in Baku verlegen werde. Wir müssen sie nicht nur vor potenziellen Angreifern bewahren, sondern auch vor den anderen Häftlingen. Und Krankheiten. Leider grassiert in Gobustan die Tuberkulose.«
»Verstehe.«
»Ich werde ihre Verlegung heute noch in die Wege leiten.«
Mark beobachtete Orkhans Miene genau. »Vermutlich wird sie bewacht.«
»Selbstverständlich. Aber wie viele Wachleute ich kurzfristig bekomme, ist fraglich. Vielleicht einen oder zwei?«
»Ich finde, einer würde reichen.«
»Vielleicht hast du recht.« Orkhan sah auf seine Uhr. »Mal sehen, wer heute Nachmittag um fünf Zeit hat, da kann’s losgehen.«
Orkhan zu danken wäre nicht angemessen gewesen, das wusste Mark. Es war besser, einfach wegzugehen. Aber er hatte kaum einen Schritt gemacht, da sprach Orkhan weiter.
»Hab ich dir von meinem Sohn erzählt?«
»Klar. Heydar.« Mark hatte ihn sogar kennengelernt. Er erinnerte sich an einen nicht gerade begnadeten Teenager, der eine große Klappe hatte und davon träumte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, aber wahrscheinlich zu dumm dafür war. »Wie geht’s ihm?«
»Wenn er die Schule in Baku abgeschlossen hat, möchte er nach Amerika gehen. Nächstes Jahr will er sich bei der University of Texas bewerben, um dort Ingenieurgeologie und Hydrogeologie zu studieren.« Orkhan sprach jedes Wort überdeutlich aus, als hätte er sich die Begriffe genau eingeprägt. »Erdölingenieur«, fügte er hinzu. »Das wird ihm helfen, wenn er nach Aserbaidschan zurückkehrt.«
»Tatsächlich?«
»Natürlich könnten seine Noten besser sein.« Orkhan schüttelte den Kopf. »Er ist ein gescheiter Junge …«
»Den Eindruck hatte ich auch.«
»Aber er sollte sich mehr Mühe geben.« Orkhan steckte die Hände in die Hosentaschen. »Soviel ich weiß, muss man lange Bewerbungsformulare ausfüllen, um auf eine amerikanische Universität zu gehen, man braucht Empfehlungsschreiben, muss Eingangstests ablegen – wie nennt man die gleich, SAT? Ein sehr, sehr schwieriger Test habe ich gehört.«
»Ich helfe ihm.« O Gott, dachte Mark.
»Das könnte er gebrauchen. Die Lehrer hier, sie sind nicht schlecht, aber sie kennen das amerikanische System nicht. Heydar würde deine Unterstützung gut tun.«
Oder auch nicht, dachte Mark. Aber er hielt es für einen klugen Schachzug von Orkhan, seinen Sohn ins Ausland zu schicken. Die besten Jobs in der Ölindustrie gingen an Leute aus dem Westen, mit der entsprechenden Ausbildung. Normale Aseris hatten oft keine Chance.
Nicht dass Heydar ein normaler Aseri gewesen wäre. Aber für Mark sagte es etwas aus, wenn sogar der Minister für Nationale Sicherheit meinte, sein Sohn müsse für eine Weile ins Ausland gehen, um im Leben voranzukommen.
»Er soll mich anrufen. Wenn ich mit dieser Sache fertig bin, sehe ich, was ich tun kann.«
18
John Decker saß auf einer Bank am Brunnenplatz, trug schwarze Lederstiefel, ein enges braunes Button-Down-Hemd und eine schwarze Jeans, die ihm um einiges zu klein war.
»In Baku gibt es keine Übergrößen-Geschäfte«, erklärte Decker vorsorglich, als Mark auf ihn zukam.
»Tausend Dollar pro Tag. Die erste Woche im Voraus.«
»Verdammt. Das haut hin.«
Für sich hatte Mark 2000 Dollar pro Tag veranschlagt. »Ab sofort.«
»Nehme ich noch Befehle von der Botschaft entgegen?«
»Nein. Du arbeitest für mich.«
»Ah ja, das geht in Ordnung«, sagte Decker. Und dann: »Wer bist du?«
»Ich wurde von unserer Regierung als freier Mitarbeiter engagiert, um im Mordfall Jack Campbell und ein paar anderen Vorfällen in Baku zu ermitteln.«
»Zum Beispiel, was mit diesem Peters passiert ist?«
»Ja, genau.«
»Ich bin dein Mann.«
»Ich bin noch nicht fertig. Du bekommst von mir nur die wichtigsten Informationen. Wir sind keine Partner. Du bist Söldner. Wenn du damit nicht zurechtkommst oder ein Problem mit Befehlen hast, sag es jetzt.«
»Befehle ausführen ist kein Problem.«
»Gut.«
19
Washington, D. C.
Colonel Henry Amato mochte die CIA nicht.
Ihm missfielen all die Lügen und die Heimlichtuerei. Nach seiner Einschätzung war es in neun von zehn Fällen besser, den Mumm zu haben, offen und ehrlich die
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