Der Feigling im Dunkeln (German Edition)
überweltliche
Bestimmung, die ihr innewohnte.
Ein
düsterer Mensch war er, so hatte sie gehört. Einer, der es
anderen nicht gönnte zu hoffen und zu sehen. Einer der alles
Feuer wegnehmen wollte, alle Freude auslöschen und jede Flamme
von Verständnis und Mitleid im Keim erstickte.
In
ihrem Geiste bildete sich das Bild eines grimmigen, alten Mannes, mit
hässlich verzerrtem Mund und bösen, zusammen
zusammengekniffenen Augen.
Kein
einziges Haar auf dem Körper und nur schrumpelige, faltige fahle
Haut.
Egal
wie er aussehen mochte, dies schien ihr seine Essenz zu sein. Sein
fürchterlich verkommenes Inneres, eine tote Seele, gefangen in
einem wandelnden Körper.
Sie
betete zu den Göttern, dass sie ihm einen Funken geben mochten,
doch tief in ihrem Inneren war ihr klar, dass diese Seele längst
kalt und eingefroren war.
Ein
Nordmann sollte er sein, dieser war nicht empfänglich für
das Feuer, dass ihr Leben so mit Freude gefüllt hatte.
Keine
Liebe, keine Freude, kein Mitleid, keine Wärme.
Sie
fuhr sich über die glatte Haut ihrer Kehle, wenn man ihn nur
brennen würde. Ihn und all diese Sünder, wenn man ihnen die
Wiedergeburt durch das Feuer schenken könnte. Waren sie zu
retten?
Sie
musste daran glauben, es war alles was ihr blieb. Und ihr Glaube war
stark.
Fünf-
Eine Ilfe erwacht
Die
Nacht war bald vorbei und im Turm kehrte Ruhe ein.
In
dem Moment als ihr Vater sie Schweigen geheißen hat, hatte sie
ihren Entschluss gefasst.
Still
sammelte sie ein wenig Gepäck zusammen und schlich zur Basis des
Turms. Es erschien ihr falsch, sich an den Vorräten ihrer Sippe
zu bedienen, doch was blieb ihr übrig. Schnell füllte sie
den restlichen Platz in ihrem Beutel mit getrockneten Pilzen und
einem Strang Grünscheinflechten.
Sie
trug ihre übliche Kleidung. Die schlichte Wolltunika und
Beinkleider, hergestellt aus ihren eigenen Haaren und der, der
anderen Turmbewohner.
Schuhe
kannten die Ilfen nicht.
Schon
als sie klein war hatte sie oft ein Jaulen aus dem Brunnen kommen
hören.
Ein
Junge, mit dem sie auch irgendwie verwandt war, hatte sie damit
aufgezogen und ihr von dem Brunnenmonster erzählt. Ihr
Großvater, zu dem sie weinend gerannt war, hatte ihr dann das
Geflecht aus Gängen und Höhlen erklärt, dass die Berge
unter ihrem Turm durchlief.
Mit
Wehmut dachte sie an ihre Kindheitstage zurück, alles war
einfacher gewesen. Immer hatte sie dem Tag entgegen gefiebert, an dem
sie endlich von den Sternen lernen konnte. Und jetzt, wo der Tag
gekommen und gegangen war, hatte sie feststellen müssen, dass es
ihr keine Antworten auf ihre Fragen geben konnte.
Geschickt
ließ sie sich in den schmalen Schacht hinab, tastete sich die
Wände entlang auf der Suche nach dem ungewollten Zugang zum
Höhlensystem.
Sie
fand ihn und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass er hoch genug
war, um problemlos auf allen Vieren kriechen zu können.
Nur
wenige hundert Meter später sah sie ein Licht am Ende des
Tunnels.
Das
würde schwierig werden. Ihre Augen kannten nur die Nacht,
tagsüber herrschte im Turm ein gedämpftes Licht. Nur wenige
Sonnenstrahlen drangen durch die schmalen Scharten in den Mauern.
Also
kroch sie langsam näher an den Lichtkreis, versuchte nicht
direkt hineinzublicken und nahm sich Zeit, um sich an die Helligkeit
zu gewöhnen.
Es
dauerte einige Stunden bis sie soweit war hinauszutreten.
Die
Sonne stand mittlerweile als eine blutrote Kugel am Horizont, bald
würde es Nacht werden.
Das
erste was sie sah waren Berge. Vom Turm aus hatte alles so winzig
ausgesehen, in Wirklichkeit gab es hier unten Höhen und Tiefen
und viele kleine Steine. Das war nicht die rotbraune Hügellandschaft,
die sie zu kennen geglaubt hatte.
Die sie zu kennen glaubten.
Langsam
lief sie Schritt für Schritt weiter in diese beängstigende
Welt. Sie fühlte sich, als sei der Boden so viel lebendiger als
der im Turm. Manche Stellen waren wärmer, andere kälter.
Unter ihren nackten Füßen spürte sie jeden Kiesel
und als sie ihre Zehen in den Aschensand bohrte konnte sie nicht
anders und quietschte wie ein kleines Kind. Neugierig hockte sie sich
hin und betrachtete den Boden genauer.
Sie
erinnerte sich an etwas, das ihr Großvater oft gesagt hatte:
"Was die Ilfen gegenüber den Metallmännern so
verletzlich gemacht hatte war die Tatsache, dass Ilfen alles genau
untersuchen mussten, bevor sie sich eine Meinung darüber bilden
konnten."
Sie
sah die einzelnen Sandkörner, sah einen Mikrokosmos aus Staub
und kleinen
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