Der Feigling
Gürtel heraus. Er schien Plattfüße
zu haben, sie steckten in gelben Sandalen, und die Hose darüber hatte
Bügelfalten nie gesehen.
»Schulz«, sagte Jakob. »Walter Schulz.
Ein sehr statischer Mensch. Statiker. Er kann Schiller besser auswendig als
Schiller selbst.«
Der Mann musterte Barbara voller
Unwillen. Er stieß eine Rauchwolke aus, schwenkte die Zigarre zur Decke. »Was
soll uns dieses Kind!« sagte er grollend. Er drehte sich zurück und saugte
hörbar an dem Giftstengel...
Der Feigling zog Barbara weiter, am
Rücken des Statikers vorbei. Der Vorletzte dieser gespenstischen Versammlung
hatte ein Gesicht wie ein übermüdeter Iltis. Kleine, gerötete, ungeheuer
bewegliche Augen. Er blickte freundlich auf das Mädchen, der erste, der das
tat, und listig, als wüßte er schon alles über sie. Er trug einert dunklen
Anzug mit Krawatte, vornehmer als die anderen, etwa so wie der Verrückte am
Tisch. Auch er küßte ihr die Hand, schwungvoll und gekonnt.
»Herr Carls«, sagte Jakob. »Sebastian
Carls. Rechtsanwalt. Spezialist für Ehebruch und Trunkenheit am Steuer.«
»Alimentationsprozesse nicht zu
vergessen«, sagte der Anwalt. »Man muß sich halt von dem ernähren, was am
häufigsten vorkommt, net?« Er hob den Zeigefinger. »Einer der letzten freien
Berufe, net wahr!«
»Quatsch!« sagte der letzte an der
Theke. »Du bist jenau so’n Jauner wie wir alle!«
»Das ist Füchslein«, sagte der
Feigling. »Der kleine Fuchs. Steuerberater und aus Berlin. Sagt alles.«
Der Kleine hopste von seinem Barschemel
herunter. Er wurde noch kleiner. Er grinste fröhlich, mit schiefem Kopf. Auch
er küßte Barbara die Hand, aber schallend und feucht. Er schien der jüngste von
allen zu sein, zugleich der harmloseste. »Die Frau im Haus erspart den
Wassermann!« sagte er voller Zufriedenheit. »Nehm’ Platz, Mädchen!«
»Du mußt dir nichts draus machen.« Der
Feigling zog einen Hocker für Barbara heran. »Seine Witze sind immer so
schlecht.«
»Hör dir mal deine an, du Affe!« sagte
Herr Fuchs.
»Seid mir gegrüßt, liebe Brüder«,
sprach der Feigling. »Sie wollte mal sehen, wo ich meine Freizeit verbringe.
Fritz — gib ihr ein Bier und einen Doppelten.«
»Kann ich einen Whisky haben?«
Der Wirt musterte sie ungnädig. »Bei
uns trinken die Gäste, was da ist, mein Fräulein. Müssen sich schon dran
gewöhnen.«
»Richtig«, brummte der Statiker an
seiner Zigarre vorbei. »Whisky! Ausländische Sitten hier einführen!«
»So ist es! Niemals!« Der Irre am Tisch
kreischte. »Nächstens wird hier noch der Dudelsack geblasen! Wo ist mein
Knotenstock? Sie muß gezüchtigt werden!«
»Ach je«, sagte Jakob. »Den hab’ ich
ganz vergessen. Bärbel — das ist Herr Zahmeis — Parfümfabrikant — ätherische
Öle en gros. Er wird dir noch allerhand Todesarten ankündigen.«
»Haha!« machte Herr Zahmeis. »Jawohl!
Werde sie vernichten! Zerstäuben in alle vier Winde! Fritz! Bier!«
Das Bierglas, das Barbara bekam, war
nicht sehr sauber. Sie wischte mit dem Finger am Rand herum. Die Brille des
Wirtes blitzte.
»Unsere Gläser sind sauber, Fräulein!
Da brauchen Sie gar nicht zu wischen!«
»Nur Bierrückstände«, sagte Jakob.
»Zum Polieren habe ich keine Zeit. Bin
Wirt, Hausdiener, Heizer, Einkäufer, Putzfrau — alles in einer Person.«
Schulz stieß eine Qualmwolke aus.
»Polieren! Aus polierten Gläsern können wir überall saufen.«
»Polieren geht über polieren!« rief der
kleine Fuchs vergnügt.
»Prost, Bärbelchen, süße Motte!«
Barbara trank mit geschlossenen Augen.
Das Bier schmeckte gut. Sie bekam eine Zigarette und hatte Zeit, sich
umzusehen.
Das Wort gemütlich paßte hierher wie
ein Karussell in die Kirche. Eine Bleikammer von Venedig war wohnlicher. Die
Theke hatte einen Kunststoffbelag, vermutlich um dem Wirt unnötige Polituren zu
ersparen. Sie stand links im Raum, bog zur linken Wand um und ließ noch einen
Spalt an der Fensterseite, wo der kleine Fuchs auf seinem Schemel thronte.
Hinter dem Wirt stand ein Holzregal mit ein paar Flaschen, die Auswahl war
gering. Die Wand neben dem Eingang war kahl bis auf einen Spielautomaten und
einen für Zigaretten, auch hier mit geringer Auswahl, die Gäste sollten
gefälligst rauchen, was da war. Eine alte Musikbox stand in der Ecke am offenen
Ende der Theke. Zwei Lampen mit staubigen Glastrichtern hingen über der Theke,
und links daneben baumelte ein Fisch aus Pappe und Draht, früher offenbar recht
bunt gewesen, jetzt mattgrau
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