Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
des Kindes gekommen ist? Es gibt ja kaum Hilfen, besonders nicht für die Kleinsten unter ihnen.
KHB: Das stimmt. Wir benötigen vor allem viel mehr intensivtherapeutische Behandlungseinrichtungen, sowohl für Kinder als auch für Jugendliche und Erwachsene, weil es sehr schwierig ist, gerade frühe Traumatisierungen aus den ersten Lebensjahren durch eine ambulante Einzeltherapie mit ein oder zwei Stunden pro Woche oder durch kurzfristige vier- bis sechswöchige stationäre Behandlungen in psychosomatischen Kliniken oder therapeutischen Einrichtungen ausreichend zu verarbeiten. Aus meiner klinischen Erfahrung brauchen früh traumatisierte Kinder sehr dichte und intensive emotionale Neuerfahrungen in Beziehungen, die entsprechend durch Feinfühligkeit und Stressregulation und traumazentrierte Verarbeitung geprägt sind, um auf lange Sicht neue Verhaltensweisen und Beziehungsfähigkeiten zu erwerben. Hierbei müssten psychotherapeutische und pädagogische Hilfestellungen für diese Kinder Hand in Hand gehen.
MH: Empfinden Sie diese Trennung – psychotherapeutische Hilfe hier, pädagogische Hilfe dort – und für alles unterschiedliche Finanztöpfe und Antrags-Notwendigkeiten als Manko?
KHB: Das kann man wohl sagen. Es wird Zeit, dass endlich die streng getrennte Finanzierung von therapeutischen Maßnahmen, die über Krankenkassen, und von pädagogischen Hilfestellungen, die über die Jugendhilfe finanziert werden, sofort aufgelöst und stattdessen alle Hilfen für Kinder – egal welcher Art – aus einem einzigen Fond bezahlt würden. Damit könnte sich vermutlich auch die einem Drehtüreffekt ähnliche unselige „Verschiebung“ von schwierigen, schwer kranken traumatisierten Kindern zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie verändern und Chronifizierungen von Posttraumatischen Belastungsstörungen eher verhindert werden. Dass integrierte, effektive Hilfestellungen möglich sind, zeigen unsere Erfahrungen mit unserem bindungsorientierten, traumatherapeutischen Konzept der stationären Intensiv-Psychotherapie, in dem pädagogisches Arbeiten auf allen Ebenen integrierter Bestandteil ist.
Karl Heinz Brisch, Dr. med. habil., Privatdozent, ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Nervenheilkunde, Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen. Er ist in spezieller Traumapsychotherapie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ausgebildet und leitet als Oberarzt die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Dozent sowie Lehr- und Kontrollanalytiker am Psychoanalytischen Institut Stuttgart.
Sein Forschungsschwerpunkt umfasst den Bereich der frühkindlichen Entwicklung. Er untersucht die Entstehung von Bindungsprozessen und ihren Störungen.
Er publizierte zur Bindungsentwicklung von Risikokindern sowie zur klinischen Bindungsforschung und verfasste eine Monografie zur Anwendung der Bindungstheorie in der psychotherapeutischen Behandlung von Bindungsstörungen und ist Vorsitzender für Deutschland der Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit (GAIMH e. V. – German-Speaking Association for Infant Mental Health). http://www.khbrisch.de
Interview 10: „Zwangsfantasien muss ich mir nicht gefallen lassen!“
Gespräch mit Herrn L., inhaftiert wegen Mordes an einer Frau
Vorbemerkung: Herr L. hatte über Jahrzehnte eine Zwangsfantasie, die er selbst anfangs an sich selbst immer wieder ausprobierte: einen scharfen Gegenstand wie ein Messer in seinen Bauch zu stechen. Mit der Zeit übertrug er diese Selbstverletzungsfantasie auf Frauen. Viele Jahre fuhr er mit seinem Auto herum und suchte „die ideale Frau“, mit der er seine Fantasie ausleben konnte. Nie stellte er sich vor, dass die Frau sich wehren würde, immer, dass sie das „auch wollte“. Dann versuchte er seine Fantasie mit / an einer Prostituierten auszuleben, die sich wehrte und überlebte. Er wurde inhaftiert, aber niemand fragte ihn nach seiner Zwangsfantasie – die natürlich durch die juristische Bestrafung allein nicht verschwand. Als er wieder in Freiheit war, wurde der Drang noch stärker. Schließlich nahm er eine Frau gefangen und stach, wie seine Zwangsfantasie es ihm eingab, auf sie ein. Sie wehrte sich und er verletzte sie tödlich. Seit 23 Jahren ist Herr L.
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