Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Diese Veränderungen werden mit der Zeit immer deutlicher und ausgeprägter. Das bedeutet, dass die neuen Netzwerke sich im Gehirn der Kinder stabilisieren, weil sie die positiven Erfahrungen von Schutz, Sicherheit und Affektregulation in einer geschützten, haltenden Beziehung immer und immer wieder gleichsinnig mit den Beziehungspersonen des Personals erleben können.
Es ist mir keine andere therapeutische Behandlungsmethode bekannt, die genau dies erreichen kann. Medikamentöse, pharmakologische Behandlungen dämpfen zwar die Affekte und die Stressregulation, aber es werden dadurch keine neuen Gehirnnetzwerke aufgebaut, die das Kind zu einem beziehungsfähigeren Wesen machen. Vielmehr sehen wir bei Absetzen der Medikation alte Verhaltensweisen genauso wieder aufblühen, die vor der psychopharmakologischen Behandlung vorhanden waren.
MH: Welche Folgerungen ergeben sich aus Ihrer Erfahrung für die Sozial- und Gesundheitspolitik?
KHB: Die Folgerungen für die Sozial- und Gesundheitspolitik sind eklatant und evident: Es wäre absolut notwendig, dass wir sehr früh und in allen sozialen Schichten beginnen, Eltern und Bezugspersonen, egal in welcher Funktion sie mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, klarzumachen, wie wichtig und entscheidend die frühesten Beziehungserfahrungen von Säuglingen und Kleinkindern sind, wie bedeutungsvoll die Schwangerschaft für das bereits reifende Gehirn des Feten ist. Erst wenn Politiker und Sozialwissenschaftler verstanden haben, dass hier sozusagen die Wurzeln einer Gesellschaft gelegt werden, könnten wir erahnen, welche enormen Präventionsanstrengungen wir leisten müssen, um ganze Gruppen von Eltern mit ihren Kindern auf einen besseren emotionalen Entwicklungsweg zu bringen. Die Politik hat zwar in ihren Reden das Kind und seine gesunde Entwicklung als wichtiges Gut in unserer Gesellschaft erkannt, aber die entsprechenden finanziellen und sonstigen notwendigen psychotherapeutischen Strukturen werden in gar keiner Weise in ausreichendem Maße, geschweige denn präventiv, zur Verfügung gestellt, um eine gesunde körperliche, psychische und soziale Entwicklung von Kindern in unserer Gesellschaft auch nur annähernd zu gewährleisten.
MH: Was wäre denn notwendig, um Prävention und Behandlung zu verbessern?
KHB: Die Ausbildung in den Grundlagen der Bindungstheorie und in bindungsbasiertem Verhalten, etwa von Eltern mit Beginn in der Schwangerschaft, von Erzieherinnen, die in Krippen arbeiten, von Kindergartenerzieherinnen, LehrerInnen, aber auch von SozialarbeiternInnen in der Jugendhilfe, von Richtern, Polizisten sowie von PsychotherapeutInnen, Krankenschwestern / -pflegern, AltenpflegerInnen, sprich von allen, die mit Menschen arbeiten, müsste zu einer allgemeinen Grundlage werden, um sozusagen ein basales milieutherapeutisches und beziehungsorientiertes Fundament für eine sichere emotionale Entwicklung von Menschen sicherzustellen.
Zusätzlich brauchen wir ausreichende Therapieplätze, die von TherapeutenInnen mit spezifischer Ausbildung und Wissen auch in Traumatherapie angeboten werden, um denjenigen Menschen, die bereits traumatisiert sind und vielleicht die nächste Generation von Kindern auf den Weg bringen, noch frühzeitig Hilfestellung an die Hand zu geben, bevor der nächste Teufelskreis der Wiederholungen von Gewalt sich etabliert.
In dem Präventionsprogramm SAFE® – „Sichere Ausbildung für Eltern“ haben wir dies im weitesten Sinne realisiert, indem wir sehr früh Eltern ab der 20. Schwangerschaftswoche in der Entwicklung einer sicheren Bindung mit ihren Kindern unterstützen und sie darin ausbilden, feinfühlig die Signale ihrer Kinder wahrzunehmen.
MH: Es ist ja manchmal wie die Frage nach der Henne und dem Ei: Wo in der intergenerationellen Abfolge setzt man mit der Intervention an?
KHB: Wir machen mit jeder Mutter und jedem Vater ein Bindungsinterview und helfen ihnen, bei unverarbeiteten Traumatisierungen schon sehr früh, wenn möglich sogar schon in der Schwangerschaft, in eine therapeutische Behandlung zu kommen, um dann im Rahmen einer Psychotherapie alte traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und nicht mit ihrem Kind zu wiederholen. Wir wissen aus Längsschnittstudien, dass die Gefahr der Retraumatisierung und transgenerationalen Weitergabe von traumatischen Erfahrungen sehr groß ist und Eltern ohne therapeutische Hilfestellung aus diesem Teufelskreis kaum entrinnen können.
MH: Und was tun, wenn es doch zu massiven Traumatisierungen
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