Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
die Adern der Händler, dass diese bereit sind, immer größere und größere Risiken einzugehen, bis die (Börsen-)Blase platzt. Wenn sich dann die Krise zuspitzt, wird ihr Stoffwechsel durch Stresshormone – hier: erhöhte Kortisolwerte – gebeutelt, sodass die Börsianer nun risikoscheu und übertrieben ängstlich agieren, was die Krise nur verschlimmert. Von der Spiegel -Reporterin Samiha Shafy (Nr. 27 / 2012, S. 111) befragt, ob er einen Ausweg sehe – immerhin treiben solche Spekulationsblasen die Weltwirtschaft immer wieder an den Rand des Abgrundes –, antwortete Coates: „Über 90 % der Händler sind junge Männer mit viel Testosteron ... Wir brauchen mehr Frauen in den Börsensälen.“
Es kann doch nicht sein, dass unser weltwirtschaftliches Schicksal vom Testosteron- oder Kortisolspiegel einer männlichen Banker-„Elite“ abhängt. Oder müssen wir uns daran gewöhnen, dass sie die Krieger des 21. Jahrhunderts sind und alle außer den Superreichen ihre Feinde? Nun, es scheint, dass in unserer Weltwirtschaft vieles von immer weniger Akteuren und deren mehr oder weniger hormongesteuertem Handeln abhängt. Denn es sind ja nicht nur die Börsen-Junkies, die eine Gesellschaft bedrohen können. Sie sind nur Akteure in einer Welt, in der immer mehr Reichtum in immer weniger Händen konzentriert ist. Bereits jetzt gehören dem reichsten einen Prozent der Deutschen fast 36 % des Vermögens, während den ärmeren 90 % der Bevölkerung gerade 33,4 % gehören (Wüllenweber 2012a). Das Verhältnis sieht selbst in einigen asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen prosperierenden Staaten derzeit besser aus. 80 % der deutschen Reichen sind übrigens nicht durch eigener Hände Arbeit zu ihrem Geld gekommen. Sondern sie haben es geerbt; 56 % haben sogar mehrfach geerbt. „Die wahre Geldelite profitiert von leistungslosem Wohlstand, der sich unseren Blicken entzieht“, kommentiert Stern -Autor und Politikwissenschaftler Wüllenweber (ebd., S. 42) und bilanziert in seinem Buch „Die Asozialen“ (2012b): „Die deutsche Gesellschaft befindet sich im Zustand der Auflösung. Am unteren Ende ist eine wachsende Unterschicht dabei, sich aus den bürgerlichen Wertvorstellungen zu verabschieden. Gleichzeitig zieht sich auch die Oberschicht in ihre Parallelwelt zurück.“
2.3 Krieg ohne Ende und Grenzen?
Die entscheidende Frage ist: Lassen wir das zu? Wenn von den kleinsten Einheiten – den Familien – bis zu den größten – Nationen – keine ethischen Richtlinien mehr gelten, wird dieser Planet in einer recht kurzen Zeit zugrunde gehen. Dabei kann das Ausmaß an sozialer Verantwortung und Mitgefühl einerseits oder Egoismus und brachialer Durchsetzung andererseits als Indikator gelten. Individuell wie gesellschaftlich.
Entscheidend für jede Gesellschaft ist, wie die wirtschaftlichen Eliten in die Struktur dieser Gesellschaft eingreifen, haben die amerikanischen Wirtschaftshistoriker Daron Acemoglu und James A. Robinson in einem Mammutwerk soziologischer Geschichtsanalyse herausgefunden: „Die Institutionen, die eine staatliche Gemeinschaft strukturieren, können integrierend sein (‚inclusive‘) – an Pluralismus, Machtkontrolle und Allgemeinwohl orientiert; oder ausbeuterisch (‚extractive‘) – wenn eine herrschende Elite ihre partikularen Interessen zulasten der großen Mehrheit mit versteckter oder offener Gewalt durchsetzt. Vereinfacht gesagt: Demokratie oder Repression“ (Leick 2012, S. 135).
Acemoglus und Robinsons (2012) Losung ist daher, einen Ausruf Bill Clintons zitierend, „It’s the politics, stupid!“ Oder: „Wenn ein korruptes Regime, raffgierige Eliten, ausbeuterische Institutionen in einem schwach ausgebildeten Zentralstaat ohne verlässliches Rechtssystem zusammenkommen, ist der Weg in Elend, Bürgerkrieg und Zusammenbruch vorgezeichnet“ (Leick 2012, S. 135).
Die gegenwärtige Gesellschaft westlicher Industriestaaten war damit nicht gemeint, aber wir sollten vorgewarnt sein und unsere politischen wie unsere Rechtssysteme offenbar auf Haltbarkeit überprüfen. Manche Politiker scheinen auch aufzuwachen. SPD-Chef Sigmar Gabriel veröffentlichte im Juli 2012 ein Thesenpapier für den Bundestagswahlkampf 2013. Darin heißt es: Die Politik erscheine immer mehr als „willfähriger Handlanger von Banken und Finanzmärkten“, und das dürfe nicht so bleiben. Nicht die Demokratie müsse marktkonform werden, „sondern die (Finanz-)Märkte demokratiekonform“. Banken müssten
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