Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
plüschigem Pink ausstaffiert, sollen vor allem angepasst und sozial eingestellt sein. Mit anderen Worten: Die Geschlechterdifferenz wird wieder mehr statt weniger betont. Wenn Mädchen weich, romantisch, unpolitisch und idealistisch, aber zum Fleißig-Sein erzogen werden, trifft sie der Schock, wenn sie in die „normale“ Arbeitswelt eintreten – was die meisten müssen, weil das Modell des „Familienernährers“ als Mann mit Hausfrau weitgehend ausgestorben ist. Männer verdienen einfach nicht mehr genug, um eine ganze Familie durchzubringen, kämpfen häufig sogar eher gegen den sozialen Abstieg. Frauen gehen also ebenfalls in den Arbeitsmarkt hinein, der heute keinen Feierabend mehr kennt, keine bezahlten Überstunden, wenig soziale Absicherungen – dafür aber für aufstiegswillige Frauen nach wie vor eine „gläserne Decke“ und ein erheblich geringeres Einkommensniveau im Vergleich zu den Männern. Eine Studie von Anke Kerschgens (2010) zum „Widersprüchlichen Wandel des Geschlechterverhältnisses“, was die Arbeitsteilung im Beruf angeht, verweist darauf: „Die Teilhabe der Geschlechter am Familien- und Erwerbsleben und ihre Arbeitsteilung in diesem Kontext haben eine grundlegende Bedeutung für die jeweilige soziale Lage, die Beteiligungschancen, Handlungsfähigkeiten und Identitätsmuster“ (vgl. auch Jurczyk 2008) beider Geschlechter. Junge Frauen, die sich der Illusion hingaben, Beruf und Kinder miteinander vereinbaren zu können, lernen im Arbeitsleben schnell, dass das in Deutschland noch viel weniger geht als in anderen Ländern (Skandinavien, Frankreich ...), in denen es allerdings auch klare Doppelbelastungen für die Frauen gibt. Nein, die Arbeitswelt ist wahrlich kein Leben in Pink für die Frauen.
Und die Männer? Jungen lernen sehr früh: Ich bin anders als Mama. Ich darf mich nicht an sie klammern, ich muss stark sein, weggehen, Mama und „Weiber“ überhaupt „doof“ finden; ich muss „cool“ sein, vor allem aber: Lieber keine Gefühle zeigen, nicht über emotionale, sondern nur über Sachthemen sprechen. Immer wieder bin ich überrascht, wenn ich die redseligen, musischen, verträumten, weichen und kreativen Jungen sehe, wie sie durch die Pubertät kommen und wieder heraus. In der Schule stürzen sie ab, weil sie sich nicht anstrengen wollen, und alle Anstrengung geht offenbar darin, ein Mann werden zu müssen. So sehe ich ihnen dann melancholisch hinterher, wie sie als breitbeinig laufende, mimik-lose, ober-coole und extrem wortkarge junge Männer, die alles Weiche und „Unmännliche“ (männlich ist natürlich vor allem „nicht weiblich“!) vehement ablehnen, sich zurückziehen, nahe Beziehungen möglichst meiden, aber mit ihren „Kumpels“ herumhängen, mit denen sie über Technik, Sport und Ballerspiele „philosophieren“. Und das ist leider kein Klischee, sondern ein Massenphänomen (s. Keppler 2003).
Jens Luedtke (2010) beschreibt in seinem Aufsatz „Vom Kind zum Mann – Männliche Sozialisation zwischen Ohnmacht und Stärke“ dieses „doing gender“, also den Prozess, wie ein Junge lernt, dass er ein Mann ist: „Auch Männlichkeit entsteht im doing gender durch alltägliches Einüben, durch die Bewerkstelligung von Geschlecht in alltäglichen Interaktionsvollzügen. Gerade für die Sozialisation gilt der Aspekt des ‚Übens‘, denn er umfasst die legitime Möglichkeit, Fehler zu machen und / oder Neuschöpfungen zu entwerfen. Kontrolliert und korrigiert wird die „Verkörperung“, die am Körper Spuren bewirkt (Gang, Gestik, Bewegung, Gestaltung durch den Mannschafts-und Wettbewerbssport), durch die Peergroup. Das bestätigt die Bedeutung der Homosozialität für die Mannwerdung“ (S. 1). Luedtke verweist aber auch darauf, dass die so geschaffene Identität von „Männlichkeit“ zunehmend zerbrechlich ist, denn das aus den 1960er-Jahren stammende Konzept der „einheitlichen Ich-Identität“, das Erik H. Erikson in den 1970er-Jahren in seinem Buch „Identität und Lebenszyklus“ beschrieb, oder das eines „possessiven Individualismus“, das noch Heiner Keupp 1990 vermutete, „bei dem das (männliche) Subjekt die Kontrolle über sich und seine Identität hat, ist durch die Modernisierung obsolet geworden. Identität wurde zunehmend weniger eindeutig und vermehrt Aushandlungssache“ (Luedtke 2010, S. 9).
Diese Aushandlungen, was denn „Identität“ ausmache, sind dann abhängig vom Herkunftsmilieu und von dem Umfeld, in dem sich junge
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