Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Männer bewegen. Beispiel Sprach- und Musikstil: Männliche „Kinder und Jugendliche können mediale Reize, die zu schnell, zu zahlreich, zu häufig, zu laut, zu wenig zusammenhängend auf sie einwirken, zwar nicht verarbeiten, aber sie merken sie sich; bei häufiger Einübung können daraus (auch hirnorganisch) feste Vernetzungen und Muster entstehen“. Und zur Musik: „Die wenigen bisherigen Untersuchungen zum Einfluss von ‚Gangster-Rap‘ liefern schwache Hinweise dafür, dass einmal der Kommunikationsstil beeinflusst wird: [Männliche] Kinder und Jugendliche bedienen sich der z. T. sehr obszönen und gewalthaltigen Sprache, mit der sie untereinander Anschlussfähigkeit herstellen und Erwachsene wirksam provozieren können. Noch unklar ist, inwieweit davon auch die Einstellungen und das Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst werden – oder ob sich vornehmlich die [männlichen] Jugendlichen, die sich von ihrer Lebenssituation, ihren Einstellungen und ihrem (Gewalt-)Verhalten her als anschlussfähig an das sehen, was die Rapper inszenieren, bewusst die Musik wählen“ (Luedtke 2010, S. 14).
2.4 Was passiert, wenn es keine fest verankerte Moral des Mitfühlens gibt?
Wie sehr Gruppendruck auch zu bizarrem Verhalten führen kann, ist vielfach – gerade in den USA – untersucht worden. Damals, in den 1960er- und 1970er-Jahren, als die Jugend aufbrach, weil sie eine andere Gesellschaft wollte, allen voran die Studenten und die Frauen. Damals, als der Vietnamkrieg in den USA ein gesellschaftliches Umdenken auslöste: „Wollen wir eine Krieg führende Gesellschaft sein oder wollen wir Liebe und Mitgefühl lehren und leben?“ In Deutschland war damals die erste Generation erwachsen geworden, die ihre Krieg führenden und Krieg erduldenden Eltern infrage stellte. Wir – dieser Generation gehöre ich ja an – haben nach Beweisen dafür gesucht, dass die Eltern sich individuell schuldig gemacht haben. Gefunden haben wir, dass „wir alle“ in der Lage sind, jederzeit gewalttätig zu werden, wenn es keine intensiv in uns verankerte Moral des Mitfühlens gibt. Geschockt haben uns damals zwei immer wieder replizierte Experimente, die damals in den USA für Furore sorgten:
Das Stanford-Prison- und das Milgram-Experiment
Das Stanford-Prison-Experiment wurde hierzulande bekannt durch den Film „Das Experiment“ (2001) von Oliver Hirschbiegel. In der von dem amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo 1971 an der Stanford University geleiteten Studie (Zimbardo 2005) gab man männlichen Studenten die Aufgabe, als „Wärter“ für andere Versuchspersonen zu dienen. Sie erfüllten diese Aufgabe so „gut“, dass es zu einem Aufstand der „Gefangenen“ kam, den die „Wärter“ teilweise mit folterähnlichen Methoden beantworteten. Schließlich musste das Experiment nach sechs Tagen (geplant waren zwei Wochen) abgebrochen werden. Alle Teilnehmer an dieser Studie taten alles freiwillig – und im Nu waren Situationen wie in einem Folterlager hergestellt. Die Rohheit und Gemeinheit einzelner – aber vor allem der Gruppendruck – brachten die jungen Männer dazu, sich wie Folterer zu verhalten.
Das Milgram-Experiment hatte bereits 1961 die Welt geschockt: Ganz normale Männer waren als Versuchspersonen in der Lage, andere „Versuchspersonen“ (in Wirklichkeit Schauspielern) immer schlimmer mit Elektroschocks zu „bestrafen“, wenn sie nicht die „richtigen Antworten“ gaben.
Beide Experimente sind in Variationen wiederholt worden – übrigens auch mit Frauen, die kaum weniger „gehorsam“ auf Druck durch andere (Stanford-Prison-Experiment) oder Autoritäten (Milgram-Experiment) reagierten, und es bedurfte nicht der Folterfotos von Guantanamo, um zu zeigen: Wird Gewalt gefördert, kann sie sich nur dann nicht durchsetzen, wenn Menschen ein enormes Maß an Zivilcourage und Mitgefühl gelernt und verinnerlicht haben. Sonst ist jeder von uns in der Lage, auch „freiwillig“ jederzeit anderen Menschen schreckliche Gewalt anzutun.
Heute wird in Deutschland wie den USA und überall auf der Welt der soziale Stress immer größer. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Die Mittelschicht erodiert und hat panische Angst, der – durchweg eher entwerteten – „Unterschicht“ von Menschen, die oft keinen sozialen Aufstieg mehr schaffen können, immer näher zu kommen. Hier der Hinweis auf zwei weitere Bücher, die das gut dokumentiert haben: „Wir müssen leider draußen bleiben“
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