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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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politisches Desinteresse an dem Thema“ (Grefe 2012).
    Die Situation sieht in anderen europäischen Ländern nicht besser aus. Die europaweite Studie „The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010“, die von dem Dresdner Psychologen Prof. Hans-Ulrich Wittchen geleitet wurde, ergab, dass 38,2 % aller EU-Einwohner unter psychischen Störungen leiden (Wittchen et al. 2011). Die Versorgung sei miserabel.
    5.1 Unverarbeitete Gewalterfahrungen – Erkenntnisse der Neurowissenschaft
    Nun kann man einerseits diese Zahlen abwehren, indem man behauptet, es würden einfach zu viele Diagnosen verteilt. Doch das wäre Polemik. Nimmt man die Zahlen ernst, kann man sich vielmehr fragen: Wie kommt es dazu, dass so viele Menschen offenbar mit dem Stress des Alltags nicht mehr umgehen können und zusammenbrechen? Wieso nimmt die Stressresistenz in der Bevölkerung so rasant ab? Dafür kann es viele Gründe geben: Zu viele Stressfaktoren insgesamt, eine Verdichtung der Arbeit, mehr leisten müssen in kürzerer Zeit; auch abends, am Wochenende und im Urlaub stets erreichbar sein müssen – auch das hat sehr stark zugenommen (siehe Titelgeschichte „Sei doch mal still“ im Spiegel Nr. 27 / 2012, S. 62 ff.). Doch angesichts der Tatsache, dass Gewalt in unserer Gesellschaft so verbreitet ist, kann sicher einer der bedeutsamsten Gründe darin liegen, dass diese Erfahrungen nur unzureichend verarbeitet werden. Das nämlich wirkt sich nicht nur auf die eigene Befindlichkeit aus – man ist ängstlicher, depressiver und weniger stressresistent, wie wir sehen werden –, sondern auch auf die Beziehungsfähigkeit: Gewalterfahrung als Kind und Jugendliche/r führt dazu, dass man in Beziehungen mehr Angst vor Verlust hat, und dadurch auch gegenwärtig mehr Stress. Die Folge: Obwohl sichere Bindung einer der wichtigsten Gesundheitsfaktoren ist, lassen sich viele Menschen gar nicht erst auf enge Beziehungen ein oder leben in unsicheren, stressreichen Partnerschaften – möglicherweise sogar in solchen, in denen Gewalt eine Rolle spielt.
    Wenn man unter unverarbeiteten Gewalterfahrungen leidet, leidet das gesamte Gehirn – und das Leben insgesamt erscheint beschwerlicher und schlechter aushaltbar. Dazu folgen nun einige Befunde der Neurowissenschaft. Ich habe eine Grafikerin (vielen Dank an Maria El Hourani!) gebeten, ein paar „Schnitte durch das Gehirn“ so aufzubereiten, dass Sie als LeserIn bei den Befunden der folgenden Seiten nachvollziehen können, welche Hirnregionen jeweils gemeint sind.
    Nach sexuellen Traumatisierungen zeigten Frauen – im Vergleich mit der Kontrollgruppe – im CT eine statistisch bedeutsame Verringerung der Durchblutung und des Zuckerstoffwechsels im linken Hippocampus im Zwischenhirn und in den Basalganglien. Dies wird mit typischen Symptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung wie Übererregungssymptomen und mangelnder Impulskontrolle in Verbindung gebracht. (Kim et al. 2012)

    Abbildung 2: Gehirn – Übersicht
    Übermäßige Schreckhaftigkeit, gelernt in traumatischen Situationen, wird bei vielen nicht behandelten Trauma-Überlebenden sozusagen nicht gelöscht und überdauert als ein quälendes Angstsymptom der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Solange eine PTBS noch weiterbesteht und nicht behandelt wurde, zeigen betroffene Frauen statistisch bedeutsam häufiger solche immer wieder auf Stressreize hin auftauchende Schreckreaktionen und die darauffolgende Angst (Fani et al. 2012).
    Immer mehr bildgebende Verfahren zeigen, dass Menschen mit einer PTBS einen anderen Hirnstoffwechsel haben. Und zwar eine Überaktivierung in Regionen, die mit Gefühlen zu tun haben, einschließlich des medialen präfrontalen Cortex (mPFC) und des vorderen cingulären Cortex (ACC). Wie MRT-Studien an männlichen Kriegsveteranen zeigen konnten, gibt es im Gehirn von PTBS-PatientInnen selbst ohne Stress, wenn sie in Ruhe sein können, eine intensive Kommunikation zwischen Amygdala und Insula. Die AutorInnen schließen daraus, dass hier ein Defizit hirnorganisch begründet sein kann, und zwar bei Männern, die mit Posttraumatischer Belastungsstörung aus dem Krieg kommen, die Schwierigkeiten in der Regelung von Gefühlen (Rabinak et al. 2011, Sripada et al. 2012). Diese Überreagabilität im ACC scheint sogar vererbbar zu sein, sodass es eine familiäre Disposition dazu gibt; Voraussetzung ist aber immer, dass das Familienmitglied, das diese Problematik vererbt,

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