Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
traumatisiert wurde (Shin et al. 2011). Leider betrifft diese intensive Reaktion nur negative Erinnerungen, nicht positive, was bedeutet: Bei Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung gibt es – heftige emotionale Reaktionen auf belastende Erinnerungen, während positive Erinnerungen kaum Gefühlsreaktionen auslösen (St. Jacques et al. 2011).
Abbildung 3
Auch nicht-traumatische Ereignisse werden, wenn man erst einmal eine chronische Stressfolge-Erkrankung (PTBS) hat, wie traumatische Ereignisse verarbeitet. Neuroimaginative Forschung an ehemaligen Soldaten mit Traumafolgestörungen konnte zeigen, dass bei der Erinnerung an stressreiche Ereignisse nicht traumatischer Natur, der mediale präfrontale Cortex unterreagierte, während die Amygdala überreagierte. Das Gehirn reagierte auf jede beliebige Erinnerung an etwas Stressiges genauso wie auf die furchtbarsten Erinnerungen. Die Stressreaktion war also verallgemeinert (Gold et al. 2011).
Abbildung 4
Auch die Funktion einer anderen Region des Vorderhirns, der ACC (das ist nicht das Hustenmittel, sondern die Abkürzung für Anteriorer Cingulärer Cortex; s. Abb. 5) hat man bei amerikanischen Kriegsveteranen getestet. Ergebnis: Wer eine PTBS hatte, hatte einen verkleinerten ACC und dieser konnte daher seine Aufgabe, einen dämpfenden Einfluss auf die Angstreaktionen der Amygdala auszuüben, nicht mehr ausreichend ausführen (Schulz-Heik et al. 2011).
Abbildung 5
Auch das Kleinhirn (Cerebellum) ist beteiligt an der Angstwahrnehmung, der frühen Reaktion darauf und an der Erinnerung, die daraufhin im Gehirn angestoßen wird. Durch frühe Gewaltereignisse im Leben wird auch das Kleinhirn verkleinert heranwachsen. Und so zeigte sich bei Versuchspersonen aus einer normalen Population, die eine Posttraumatische Belastungsstörung nach frühen Gewalterfahrungen hatten, nicht nur ein verkleinertes Kleinhirn, sondern auch die entsprechend stärkeren Symptome von Angst, Depression und Stimmungsschwankungen (Baldacara et al. 2011).
Die Amygdala, die als „Rauchmelder“ unseres emotionalen Gedächtnisses immer dann „anspringt“, wenn zu starker Stress vorhanden ist, „fischt“ Erfahrungs-Spitzenwerte für das Gedächtnis heraus, damit die Speicherung der Erfahrung im biografischen Gedächtnis nur für die Ereignisse möglich wird, die wir auch verkraften können. In der Amygdala also gibt es einen Serotonin-Transporter namens 5-HTT. Bei Menschen mit einer Stressverarbeitungsstörung durch Gewalterfahrung wird dieser Serotonin-Transporter nur unzureichend ausgebildet. Die Folge: Mehr Angst durchflutet den Organismus und mehr depressive Niedergeschlagenheit. Hat man also erst einmal eine PTBS, dann ist man wirklich schlimm dran: Das Gehirn hat „Angst gelernt“ und produziert immer wieder ängstliche und depressive Reaktionen (Murrough et al. 2011).
Eine der schwierigsten Folgen von traumatischem Stress, besonders von frühen Traumata, ist ein teilweise drastisch verkleinertes Hippocampus-Volumen. Der Hippocampus ist ein ganz wichtiger (Zwischen-)Speicher für autobiografische Erinnerungen und moderiert im Verlauf des Lebens die allgemeine Stressreaktion auch auf momentan stattfindende Ereignisse. Eine Meta-Studie untersuchte, ob Frauen in der Hinsicht benachteiligt sind, weil sie so viel öfter eine Posttraumatische Belastungsstörung bekommen als Männer, oder ob Männer einfach besser geschützt gegen den Abbau des so wichtigen biografischen Archivs im Zwischenhirn sind. Ein Überblick über die entsprechenden Studien ergab jedoch: Beide Geschlechter bauen in gleichem Maße auf massive Stressereignisse Hippocampus-Volumen ab bzw. erst gar nicht auf (Woon & Hedges 2011).
Insgesamt kann als gesichert gelten: Wesentliche Regionen des Gehirns, wie Hippocampus, Amygdala, Insula und der mediale präfrontale Cortex, werden definitiv in ihren Funktionen durch Stresserkrankungen so beeinträchtigt, dass es entweder zu massiven Blockaden (Dissoziation, Depression) oder zu einer ständigen Überreagibilität emotionaler Zentren kommt (Flashbacks, Angstzustände etc.). Das zeigen auch Überblicksstudien (s. Hughes & Shin 2011).
Inzwischen wird die Posttraumatische Belastungsstörung als ein Versagen der Mechanismen verstanden, sich von traumatischem Stress zu erholen. Dies hat eine Studie noch einmal bestätigt, die PatientInnen vor und nach einer Psychotherapie im MRT untersuchte (Dickie 2011). Interessanterweise wurden sowohl vermehrt
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