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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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unterm Pantoffel“, lachte sie und meinte es ernst. Wie meine Mutter, von ihrem kompetenten Berufs-Ich abgesehen, wollte ich also auch nicht werden, so ängstlich und unglücklich und einsam mit so einem jähzornigen Anteil, wie ihn auch meine Großmutter hatte. Und doch liebte ich meine Mutter: ihre Weichheit, ihre Intelligenz, ihre Art, sich zurückhaltend-elegant zu kleiden und immer gut nach teuren Cremes zu duften. Sehr viel später erst wunderte ich mich, dass ich damals die Omma-Kleider auftragen musste, dick „gemästet“ und dann mitleidig belächelt wurde, während sie in ihren Erwachsenen-Anteilen unnahbar, aber schön war. Viele Jahre spürte ich schmerzlich das Potenzial, das in ihr lag und manchmal um die Ecke schaute, sah die blitzgescheite, witzige, enorm musikalische Frau. Sah viele ihrer dissoziativen States, diese Zustände, die nicht immer, aber erschreckend oft völlig unverbunden waren, und fragte mich dann, ob sie so oder so oder so „eigentlich“ sei. Leider war ihr, wie ein Nachbar einmal meinte, „merklich das Rückgrat gebrochen“ worden. Ein Onkel hatte sie an ihrem ersten Schultag sexuell gequält, der Krieg ihr viele Jahre der Todesangst und Todesnähe beschert und, wie sie manchmal sagte, „ihre Jugend geraubt“. Und eine der sehr frühen Täterinnen an ihr war ihre eigene Mutter.
    Denn die hatte sie verlassen, als sie gerade zwei Jahre alt war. Da starb ihr Mann, Mutters Vater, in seiner Kürschnerwerkstatt, und bis heute wird in der Familie gemunkelt: „Der hat sich umgebracht, weil er den Jähzorn vom Lieschen nicht ausgehalten hat.“ Ohne ihren Mann konnte meine Großmutter die Kürschnerei, die sie gemeinsam aufgebaut hatten, nicht weiterführen. Also gab sie meine Mutter zu ihrer Mutter und ging auf Reisen; sie nähte „bei Herrschaftens“ und kam nur gelegentlich heim. Wenn meine Mutter dann auf sie zulief, stieß sie sie von sich: „Geh weg mit dieser Affenliebe!“ Meine Großmutter hatte nur Überleben gelernt, nicht aber Lieben. Für die Not dieses ängstlichen und verlassenen Kindes mit seinen „Streichholzbeinen“ hatte sie entweder nur Verachtung oder gar keinen Blick. Vielleicht hat sie den erst für ihre Enkelin gehabt – und die dann gerettet, was sie eigentlich mit ihrem eigenen Kind hätte machen müssen, das in dem Haus der Großmutter wie ein „Waisenkind“ aufwachsen musste. „Wenn Tante Lieschen zu Besuch kam, standen alle stramm“, hieß es in unserer Familie. Und als sie ging, erinnerte sich meine Mutter damals nur an eine strenge Frau, die wie ein Wirbelwind gekommen und wieder verschwunden war.
    Erst als meine Mutter älter wurde, nahm meine Großmutter sich der Heranwachsenden an. Bis heute wird das Abenteuer kolportiert, wie meine Großmutter es schaffte, genug Geld zusammenzubekommen, damit meine Mutter etwas mehr lernen durfte als sie damals: Um auf die Handelsschule gehen zu können, musste man nämlich Schulgeld zahlen. Meine Familie wohnte damals an der deutsch-holländischen Grenze. Also nähte meine Großmutter die eine Währung in die Schulterpolster der Jacke meiner Mutter ein, die das Geld ahnungslos über die Grenze trug. Dort wurde es eingetauscht. Und die Währungsdifferenz wurde gespart. Das ging ein paarmal gut, auch wenn es äußerst gefährlich war, denn auf Währungsschmuggel standen schwere Strafen. Außerdem lieh sich meine Großmutter – die grundsätzlich niemals Schulden machen wollte – ausnahmsweise zusätzlich einen Betrag bei einer Nachbarin, der sie das „mit der heißen Nadel“, also mit Näherei, zurückbezahlte. So konnte meine Mutter mehr lernen. Und das war etwas, das uns drei verband: Meine Großmutter musste Schneiderin werden, meine Mutter durfte schon zwei Jahre auf die Handelsschule und bei mir sorgten beide dafür, dass ich sogar Abitur machen durfte. Das Lernendürfen machte zutiefst dankbar. Und natürlich die Tatsache, dass „Ommi“ uns gerettet und in diese Wohnung bugsiert hatte – wo wir dann alle drei zusammen unglücklich waren, meine Großmutter sicher noch am wenigsten.
    Früh verstand ich: Hartes Arbeiten, Disziplin plus Jähzorn und Unberechenbarkeit machen stark. Weichheit, Nachgeben, Bravsein machen schwach, sind aber manchmal nötig, um zu überleben. Meine Rebellion und die meiner Generation hat viel damit zu tun, den Despotismus abzuwerfen, das Bravsein auch, und nach neuen Wegen zu suchen, wie man sein kann: mitfühlend und gleichzeitig stark, auch mal autoritär, aber

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