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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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einen marineblauen Schlips. Den restlichen Abend sah er auf seinem Zimmer dänisches Fernsehen und lauschte der Sprache, dabei lud er sein Mobiltelefon auf und schliff den Dolch, bis er so scharf war wie ein Rasiermesser, und zwar auf beiden Seiten. Der hölzerne Schaft lag gut in der Hand, aber der Dolch war insgesamt nicht ganz im Gleichgewicht. Er nahm sein Schweizer Messer und schmälerte behutsam den Schaft, bis die Balance zwischen diesem und der Klinge wiederhergestellt war. Jetzt konnte er damit schneiden, stechen oder, falls nötig, auch werfen. Ehe er sich erlaubte, zu Bett zu gehen, paßte er die Scheide so an, daß er sie am Knöchel befestigen konnte.
    Er wollte schlafen. Es war nicht einfach, weil es draußen gar nicht dunkel war. Er hatte vergessen, wie hell die dänischen Nächte Ende Juni sind. Es gab so viel, was er vergessen hatte. Er mußte zusehen, daß er es sich wieder ins Gedächtnis rief.

22
    Vuk hatte einen unruhigen Schlaf und erwachte mit einem halb erstickten Schrei. Er hatte geträumt, er sei wieder auf dem Schlachtfeld und höre die einschlagenden Mörsergranaten. Hinter den geschlossenen Augenlidern fand das Feuerwerk der Explosionen statt. Er war schweißnaß und das Bettzeug klamm und feucht. Er hörte den Donner, und als er die Gardine zur Seite zog, sah er den ersten Blitz über den Dächern und Turmspitzen auf der anderen Seite des Hafens. Es regnete in Strömen. Er blieb am Fenster stehen und lauschte dem Donner, der über die Stadt rollte, bis sich sein Puls wieder beruhigt hatte. Trotz der tief hängenden schwarzen Wolken begann es schon hell zu werden. Ein magischer Schimmer lag über der Stadt. Er verschwand nur, wenn die Blitze, die im Zickzack über den Himmel zuckten, die Häuser und die wenigen vorbeifahrenden Autos momentweise erhellten, als betätigte sich der Herrgott als Fotograf. Danach kehrte der zarte Morgenschimmer wieder zurück. Irgendwann ertönte ein Knall, als hätte es drüben in Amager eingeschlagen, und kurz darauf hörte Vuk die Sirenen der Feuerwehr. Er konnte nicht mehr schlafen und schaltete den Fernseher ein und schaute sich einen alten Schwarzweißfilm auf irgendeinem ausländischen Kanal an, ohne so recht bei der Sache zu sein; er dachte an Anna oder Emma – wie auch immer – und an die Kinder und fröstelte unwillkürlich, als er sich an die warme und sanfte Meeresbrise auf Kauai erinnerte.
    Gegen Mittag bezahlte er Eintritt an einer der Tivoli-Kassen und betrat den Vergnügungspark. Mikes Mail war kurz und knapp gewesen: Riesenrad. Tivoli. 13. Und eine Handynummer, die er sich sicherheitshalber eingeprägt hatte. Um dreizehn Uhr am Riesenrad im Tivoli. Zunächst hatte Vuk sich darüber gewundert, daß Mike eine so exponierte Stelle ausgesucht hatte, aber eigentlich war es ziemlich clever. Denn dort waren Massen von Menschen und Massen von Touristen unterwegs. Das Gewitter hatte die Luft gereinigt. Es war kein warmer Tag, aber der Himmel war überwiegend blau, und weiße Wolken zogen über ihn hinweg. Die Temperatur lag bei etwa zwanzig Grad. Die Leute promenierten in kurzen leichten Sommerjacken durch den Park. Vuk wußte nicht mehr, wann er das letztemal im Tivoli gewesen war. Nicht einmal als Kind war er oft dort gewesen. Eher noch als Teenager, wenn sie dort zu Konzerten gingen. Das Tivoli hatte sich kaum verändert, es war voller Blumen und Kinder und neuer Teenager, die sich in der Menge treiben ließen und dem anderen Geschlecht schmachtende Blicke zuwarfen.
    Vuk beobachtete das Riesenrad. Es hatte sich eine kleine Schlange gebildet, meist halbwüchsige Kinder und händchenhaltende Pärchen. Vuk trug Jeans, ein kurzärmliges Hemd und eine kurze Sommerjacke, außerdem hatte er seine Umhängetasche dabei. Die SIM-Karte steckte in seinem Handy, das er aber ausgeschaltet hatte. Es lag neben dem scharfgeschliffenen Dolch in seiner Tasche. Seine Sonnenbrille war ganz schwarz. Mike war fast genauso angezogen.
    Er trug eine Baseballkappe und eine kurze blaue Jacke sowie ein T-Shirt, auf dem I l ove New York stand. Er sah aus wie ein typischer amerikanischer Tourist. Mike stellte sich in der Schlange vor der Kasse an, und Vuk stellte sich direkt hinter ihn. Sie stiegen die schmale Treppe hinauf. Die Gondeln stoppten, und ein junges Mädchen ließ die Leute einsteigen. In jeder Gondel konnten vier Personen sitzen, aber der Andrang war nicht sehr groß, so daß man auch eine allein bekommen konnte, wenn man wollte.
    »Gehören Sie zusammen?« fragte

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