Der Feind im Spiegel
geschüttet hat? Wie aus Eimern, Mensch!«
»Ach so, ja. Es hat ziemlich gegossen.«
»Und Blitz und Donner gab’s. Aber Touristen sind trotzdem ’ne Menge da.«
»Im Sommer immer.«
»Bist du vielleicht selber Tourist?«
Vuk nahm noch einen Bissen und dachte daran, das Würstchen in den Senf und den Ketchup zu stippen und hinterher ein Stück Brot abzubeißen. So aß der Däne seine Wurst. Er wischte sich mit der Papierserviette den Mund ab und sagte: »Ja und nein. Ich bin aus Jütland, aber geschäftlich hier. Ich bin nur ein bißchen spazierengegangen. Mein Termin ist erst später.«
»Was machst du denn?«
Er hatte ganz vergessen, wie neugierig die Dänen waren, wenn es um den Beruf der Leute ging. Arbeit und Wetter. Da hatten sie keine Hemmungen.
»Ich arbeite in der Computerbranche.«
»Computer gibt’s in Jütland auch schon?«
Der Würstchenmann grinste.
»Na, und ob. Ich komme aus Århus.«
»Hab ich doch gemerkt, daß du ein bißchen Dialekt hast. Ihr habt doch da drüben am meisten abgekriegt. Regen, meine ich. War doch fast ’ne Sintflut bei euch. Haben sie jedenfalls im Fernsehen gesagt. Man kann es doch immer noch hören, nicht? Die Dialekte sind nämlich gar nicht verschwunden, auch wenn die Klugscheißer in der Glotze das behaupten. Es ist der Tonfall. Ich quatsche mit allen möglichen Leuten jeden Tag. Du hast ihn. Jütland. Hundertpro.«
»Findest du?«
»Na, klar. Kann man doch erkennen. So ’n oller Jüte wie du, der spricht Dialekt. Kann er machen, was er will. Unser Franzmann Prinz Henrik oder die ganzen andern Fremdarbeiter dagegen, die reden mit Akzent, die könn’s nicht besser.«
Der Würstchenmann lachte, aber nicht sehr überzeugend. Als wenn er die Bemerkung mehrmals am Tag aufwärmte. Wie seine Würste. Vuk lächelte pflichtschuldig, zahlte mit einer Zwanzigkronenmünze und bekam zwei Kronen mit einem Danke zurück.
Beim Gehen dachte er über sein Dänisch nach. Anscheinend war es noch nicht ganz astrein. Besonders der spezielle dänische Stoßlaut fiel ihm schwer, darauf mußte er ständig achten, wenn er als Däne durchgehen wollte. Aber für einen Jüten gehalten zu werden war schon okay. Obwohl der Wurstaufwärmer vielleicht nicht gerade einer der glaubwürdigsten Dialektforscher war.
Er ging in ein Internetcafé und zahlte für eine halbe Stunde. Der Raum war voller junger Rucksacktouristen, die ihre Mails checkten. Er ging auf die Hauptseite von Hotmail und richtete sich eine Mailbox ein. Er gab die Hotmailadresse ein, die Mike für diesen Zweck schon in den USA angelegt hatte, und schickte seine Handynummer ab. Er schrieb die Zahlen in umgekehrter Reihenfolge, loggte sich aus, ging in den Browser und löschte die temporären Dateien. Er würde die Mail-Adresse nur noch einmal benutzen. Und zwar, um nachzusehen, welchen Ort Mike für ein Treffen vorschlagen würde, damit er seine dänischen Papiere und weitere Infos erhalten konnte. Die Handynummer war wie eine Versicherung. Sie sollte nur im Notfall benutzt werden.
Er schlenderte weiter.
Die Sonne wurde immer stärker, und trotz des morgendlichen Regens und der dahintreibenden, bedrohlich dunklen Wolken waren die Straßencafés gut gefüllt. Die Stadt war wie eine öffentliche Party. Offenbar gingen die Dänen mehr auf die Straße als früher. Als lebten sie in einem Land, in dem der Sommer eine feste Größe war. Die Leute tranken Kaffee aus großen Gläsern oder Bier aus noch größeren Gläsern. Er lauschte den Gesprächen und verstand alles, aber seinen eigenen Kaffee bestellte er auf englisch. Er hatte die Sonnenbrille aufgesetzt. Und mit dem kurzgeschnittenen blonden Haar mit Seitenscheitel und der Herald Tribune, die er auf dem Cafétisch ausgebreitet hatte, glich er einem smarten jungen Mann, der ein Tourist, ein internationaler Geschäftsmann oder einfach ein Däne sein konnte, der zeigen wollte, daß er einen gewissen Horizont besaß. Man mußte ihn schon sehr gut kennen und genau hinschauen, um zu entdecken, daß Ron Gibson einst Vuk geheißen hatte und wegen derart vieler Verbrechen gesucht wurde, daß er den Rest seiner Tage hinter dänischen Gardinen zubringen würde, wenn man ihn erwischte. Aber Vuk hatte nicht vor, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen.
Erst gegen Abend kam Vuk ins Marriott zurück. Er aß im Restaurant des Hotels und blätterte in dem englischen Taschenbuch, das er sich gekauft hatte. Er trug ein helles Sommerjackett, seine schmale Brille, eine edle Hose und
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