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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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an Death Valley und Kauai erinnerte. Die gelblich versengte Erde zitterte, als wäre sie lebendig, und er genoß den Anblick der graubraunen Berge, die sich am Horizont erstreckten, und der kleinen goldenen Städtchen, die sie durchquerten, nachdem sie die ausgedehnten Wein- und Reisfelder und Apfelsinenhaine der Küstenregion hinter sich gelassen hatten. Er war noch nie in Spanien gewesen. Er mochte das Land und den Klang der Sprache auf Anhieb, obwohl er kein Wort verstand, ebenso wie die Menschen, die lebhaft und gesund wirkten. Besonders aber die Natur, die grünen Flecken inmitten der sonnenverbrannten Landschaft und der großen, trockenen Hitze. Das Landesinnere schien verlassener, als er erwartet hatte. Als hielten sich die meisten Bewohner genau wie die Touristen lieber an den Küsten auf. Er beobachtete die Mauersegler über den braungelben Ziegel- und Lehmdächern kleiner Orte, während der Waggon sich langsam leerte.
    Über den Bergen und den menschenleeren Gegenden wölbte sich ein Meer aus Licht, und während der Zug Cuenca und seinem letzten Auftrag entgegenbummelte, war ihm, als stiege ihm der Duft von Thymian und Lorbeer, Wärme und Geborgenheit in die Nase. Daß es sein letzter Auftrag war, davon war er felsenfest überzeugt, und er verspürte eine innere Ruhe, weil er sich mit einemmal sicher war, daß die Aufgabe gelingen und er den Rest seines Lebens mit den Menschen, die er am innigsten liebte, an einem warmen und sonnigen Ort zubringen würde. Nun galt es, den Kopf von unnötigen und unnützen Gedanken freizuhalten und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das zu tun, was ihm sein ehemaliger Kommandant immer eingeschärft hatte, nämlich die Gegner nicht als Menschen anzusehen, sondern als Objekte oder Ziele, die es zu beseitigen galt, um das übergeordnete Ziel der Aktion zu erreichen. Sie waren Feinde, Widersacher, Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden mußten, wie man ein Feld von Disteln säubert. Aber zugleich wußte er, daß sein Problem gerade darin bestand, daß er die Menschen eben nicht mehr als Disteln auffaßte, sondern als Menschen.
    Am späten Nachmittag kam er in Cuenca an. Im Bahnhof von Valencia hatte er sich einen englischsprachigen Reiseführer und einen Stadtplan gekauft. Die letzte halbe Stunde seiner zweistündigen Zugfahrt war er damit beschäftigt gewesen, sich einen Überblick über die Stadt zu verschaffen, in der Mustafa eine Pizzeria namens Izmir betrieb. Cuenca war eine größere Provinzstadt, die aus zwei Teilen bestand: Oben auf einem Sporn lag die Altstadt, an seinem Fuß die sehr viel größere Neustadt. Dem Führer entnahm er, daß der Ort für seine »hängenden Häuser« bekannt war, Häuser, die am Berg klebten und mit der gotischen Kathedrale auf der Plaza Mayor die Sehenswürdigkeiten der Stadt darstellten. Auf einem Foto war eine hohe Brücke abgebildet, die von einem alten Kloster, das jetzt als Hotel diente, über eine tiefe Schlucht zur Altstadt hinüberführte.
    Zusammen mit drei älteren Menschen stieg er aus dem Zug. Der Bahnhof war staubig und still. Mauersegler schwirrten durch die Luft. Er setzte seinen Rucksack auf und ging in die Stadt. Die Straßen waren schmal und eintönig, aber insgesamt wirkte die Stadt wohlhabend und belebt. Es gab Läden, Bars und Restaurants en masse. Er kaufte sich einen genaueren Stadtplan, schlug in einer Telefonzelle unter Izmir nach und merkte sich die Adresse. Mustafas Lokal lag im neueren Teil der Stadt. Vuk paßte das ausgezeichnet. Er vermutete, daß die Neustadt viel anonymer war als der mittelalterliche Teil auf der Spitze des Bergvorsprungs. Mit dem Plan in der Hand fand er das Izmir in einer Nebenstraße, eingeklemmt zwischen zwei Geschäften. Gegenüber lagen ein Tabakladen und ein weiteres Geschäft, das Kücheneinrichtungen verkaufte. Die Straße war so schmal, daß zwei Autos kaum aneinander vorbeifahren konnten.
    Er schlenderte eine nahegelegene Straße entlang, in der es mehrere kleine hostales oder pensiones gab. Schon in der zweiten Pension, in der er nachfragte, waren Zimmer frei. Sie lag im zweiten Stock eines gelben Hauses mit roten und weißen Blumen auf den kleinen Balkons. Im Schatten der Gebäude war die Wärme sehr angenehm. Die Wirtin hatte eine wettergegerbte braune Haut und war steinalt. Sie stand in der kleinen Küche, in der ein ebenso alter kahlköpfiger Mann mit seiner Zeitung saß und ihn anstarrte. Im Fenster stand ein Vogelbauer mit einem Papagei, der mindestens so viele

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