Der Feind im Spiegel
Jahre auf dem Buckel hatte wie seine Besitzer. Das Haus gefiel ihm. Die Alte nahm ihn an der Hand, zog ihn den Gang hinunter und machte eine Tür auf. Dahinter lag ein schönes geräumiges Zimmer mit einem Bett, einer Kommode, einem kleinen Tisch mit Stuhl und einer engen rosaroten Duschkabine. Hinter den geschlossenen Fensterläden war das Zimmer dunkel und kühl. Vuk nickte, und die alte Frau lächelte mit ihrem zahnlosen Mund, als er ihr die Miete für eine Woche in bar bezahlte. Niemand hatte ihn nach seinem Namen oder seinem Paß gefragt. Das war perfekt.
Während der nächsten Tage machte er sich mit Mustafas Lebensrhythmus vertraut und wartete, daß Mike mit ihm Kontakt aufnehmen würde. Man konnte fast die Uhr nach Mustafa stellen. Sein Tagesablauf hatte nur wenige Variationen. Er machte seine Pizzeria gegen dreizehn Uhr auf und um kurz nach Mitternacht wieder zu. Mustafa war noch immer ein großer Mann mit dichtem Schnurrbart, und er bewegte sich geschmeidig, aber die Muskeln, die in Vuks Jugend so einschüchternd gewirkt hatten, hatten sich teilweise in Fett verwandelt. Er hatte zwei Angestellte, doch nachts verriegelte er immer persönlich die Tür und saß danach in seinem Hinterzimmer und überschlug den Tagesumsatz, ehe er die Alarmanlage einschaltete und nach Hause zu seiner Familie ging. Einmal war Vuk das Risiko eingegangen und hatte mittags eine Pizza bei ihm gegessen und die Toilette besucht. Das Lokal war vollbesetzt gewesen, der Koch in der einsehbaren Küche hatte alle Hände voll zu tun, und der Kellner rannte von Tisch zu Tisch. Vuk ging einen schmalen Gang entlang und öffnete die nicht verschlossene Tür zum Hinterzimmer. Dort standen ein Computer und ein Geldschrank. Aber den benutzte Mustafa ganz offensichtlich nicht für sein Geld, denn er warf die Tageseinnahmen jeden Abend in den Nachttresor einer Bank gleich um die Ecke. Es war natürlich riskant, im Izmir zu essen, falls Mustafa auftauchte. Aber das Risiko war gering. Um diese Zeit besuchte er nämlich seine Geliebte nicht weit von der Plaza Mayor. Nachts ging er dann nach Hause, aber auch nicht immer auf direktem Wege. Es kam vor, daß er noch bei seiner Freundin vorbeischaute. Vuk hatte Mustafas Frau einmal gesehen, als sie die Wohnung verließ. Sie war klein und dicklich, trug ein dichtschließendes Kopftuch und weite Kleider. Er ging davon aus, daß sie sich nicht in die Angelegenheiten ihres Mannes einmischte und es auch nicht wagen würde, ihn nach seinen sonstigen Beschäftigungen zu fragen. Mustafa führte ein normales spanisches Leben, dachte Vuk.
An einem späten Nachmittag saß Vuk in seinem Zimmer. Vor ihm auf dem Bett lag eine Rolle mit dünnem Eisendraht, die er sich zusammen mit einem Schleifstein und einer Rolle starkem Klebeband in einem Eisenwarengeschäft besorgt hatte. In einem Spielwarenladen hatte er zwei Springseile gekauft. Er schnitt die Holzgriffe ab und zog den Draht durch die Löcher der Griffe. Er befestigte die Enden und zog einmal kurz und kräftig daran, der Draht hielt. Im Hintergrund hörte er den Papagei, der übrigens nach einem bekannten spanischen Dichter Frederico benannt worden war, sein übliches Liedchen pfeifen. Spanien war ein phantastisches Land, in dem man alles bekam, was man brauchte. In einem Waffengeschäft war ihm eine beeindruckende Auswahl aller möglichen Schnappmesser vorgelegt worden. Eines hatte er gekauft und schliff es nun mit dem Schleifstein. Dann hatte er sich noch eine dieser Gürteltaschen besorgt, mit denen sämtliche Touristen herumliefen. Um siebzehn Uhr öffnete er wie jeden Tag sein Mobiltelefon. Es piepte. Er hatte eine SMS von Mike erhalten. Die Nachricht lautete: »Die Brücke 20 Uhr.«
Der Zeitpunkt näherte sich. Es gab keinen Grund mehr, noch länger zu warten. Mustafa führte ein glaubwürdiges Doppelleben, aber Vuk war überzeugt, daß er als Maulwurf für al-Qaida tätig war oder zumindest eine wesentliche Kontaktperson darstellte, die auch als Logistikchef fungieren konnte, gerade weil sie ein so unauffälliges Leben führte. Vuk nahm die SIM-Karte aus dem Handy und stopfte sie in die Tasche. Er würde sie in einem Gulli verschwinden lassen. Er steckte seinen alten Dolch und die beiden selbstgebastelten Garotten in seine Gürteltasche und das Schnappmesser in seine kurze Hose mit den vielen Taschen, legte sich aufs Bett zurück und starrte an die weiße Decke, die voller Fliegendreck war. Es war sehr warm und sehr still, aber er wußte, er würde nicht
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