Der Feind im Spiegel
können, Mustafa. Deine Schwester fand ich richtig nett, aber du warst damals schon ein Vollidiot.«
»Was ist los? Hast du ein Problem, Alter? Im Namen Allahs, des Barmherzigen – kommt dieser Janos her und überfällt mich, weil ich die Ehre meiner Schwester gegen solche Typen wie dich verteidigt habe!«
Vuk schlug noch einmal zu. Mustafas Blick wurde stumpf, und er stöhnte auf, doch er war immer noch ein harter Hund, und sein übertriebener Mannesstolz hielt ihn davon ab zusammenzubrechen. Aber als das noch heile Auge wieder klar wurde, erkannte Vuk zum erstenmal die Angst darin.
»Mustafa. Du hast etwas, was ich gerne haben möchte. Du hast den Namen und die Adresse oder zumindest die Telefonnummer eines Mannes, der sich Azim nennt.«
Vuk betrachtete ihn genau. Nun stand ihm wirklich die Angst ins Gesicht geschrieben. Das geschwollene Auge bekam er gar nicht mehr auf, es mußte höllisch weh tun.
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.«
»Habe ich mir gedacht, daß du das sagen würdest.«
Vuk nahm das Klebeband und verklebte ihm den Mund. Dann holte er eine seiner selbstgemachten Schlingen aus der Tasche. Er wickelte den Draht um Mustafas linken kleinen Finger und zog zu, so daß die Blutzufuhr unterbrochen wurde und aus dem abgeschnürten Fingerende Blut austrat. Er konnte an den Griffen ziehen, ohne daß seine eigenen Hände Schaden nahmen. Mustafa versuchte, etwas von sich zu geben, das noch gesunde Auge trat aus der Höhle, und die Venen in den Schläfen schwollen an. Sein Körper ruckte und zerrte so wild auf dem Stuhl, daß Vuk einen Augenblick lang befürchtete, er würde das Band zerreißen.
»Hör zu, Mustafa, mein Lieber. Nicht mehr lange und dein Finger ist abgestorben. Dann kommt der nächste dran. Und schließlich wirst du mir doch erzählen, wer Azim ist und wo ich ihn finde. Das ist nur eine Frage der Zeit – und der Finger.«
Vuk hob nicht die Stimme, er sprach ruhig und besonnen, als führten sie eine ganz gewöhnliche Unterhaltung. Dann trat er einen Schritt zurück. Man sah Mustafa an, wie sich der Schmerz in seinem Körper ausgebreitet hatte.
»Willst du was sagen?«
Mustafa nickte. Vuk riß ihm das Klebeband von den Lippen.
»Du mußt wahnsinnig sein, Mensch! Allah sei mir gnädig. Was machst du denn da? Du tust mir weh. Laß mich los! Ich hab keine Ahnung, wovon du redest!«
»Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht. Bei der Ehre meiner Mutter. Ich weiß es nicht. Möge Allah mich auf der Stelle vernichten, wenn ich lüge!«
»Okay«, sagte Vuk und klebte seinen Mund wieder zu. Er wollte kein Geschrei, trotz der geschlossenen Fenster und Türen. Er griff zu der anderen Schlinge und nahm sich den kleinen Finger der rechten Hand vor. Als er zuzog, warf sich Mustafa vor Schmerz hin und her.
»Willst du was sagen?«
Mustafa nickte, und Vuk löste das Band.
»Im Computer. Im Computer. Und laß meine Finger los! Bitte!«
»Augenblick. Welche Datei?«
»Unter ›Buchführung‹. Da ist eine Datei, die heißt ›Durum‹.«
Vuk suchte schnell im Computer und fand in der Office-Ablage die Datei »Durum«. Als er sie öffnen wollte, verlangte sie jedoch einen Kode.
»Den Kode!«
»Den weiß ich nicht mehr. Allah sei mein Zeuge. Ich weiß es nicht mehr!«
Vuk trat auf ihn zu.
»Mustafa. Paß auf. Wir hätten eigentlich die ganze Nacht Zeit, aber ich habe noch was anderes vor. Das heißt, ich überspringe die Finger einfach und beschäftige mich gleich mit einem anderen Glied, und dann ist Schluß mit dem Mannsein. Hast du das geschnallt?«
Mustafa reagierte mit einem Schwall ausländischer Wörter, wahrscheinlich Flüche. Vuk ignorierte sie und stopfte Mustafa mit dem Klebeband erneut das Maul, ehe er seinen Gürtel öffnete. Er konnte die Angst geradezu riechen, die ihm aus jeder Pore entgegenstieg. Mustafa ruckte auf dem Stuhl herum und versuchte, etwas zu sagen.
»Der Kode?«
Mustafa nickte heftig, und Vuk entfernte das Band.
»Er wird dich töten! Und mich wird er auch töten!«
»Der Kode!«
» Lillehavfrue. «
»Kleine Meerjungfrau. Auf dänisch. Gewieft.«
Vuk gab den Kode ein, und zwei Telefonnummern tauchten auf. Die eine gehörte zu einem Handy. Die andere zu einem Festnetzanschluß. Es waren auch zwei Adressen vermerkt. Eine in Ronda, die andere in Madrid. Und lange Zahlenkolonnen, die zu einer Rechnung zu gehören schienen. Möglicherweise kodiert, aber das war nicht Vuks Problem. Er schaute sich um, entdeckte den Drucker, schaltete ihn ein und druckte
Weitere Kostenlose Bücher