Der Feind im Spiegel
Immigrantin der zweiten Generation war, meinte sie, immer einen Tick besser sein zu müssen als die normalen oder ethnischen Dänen oder wie man das heutzutage nannte. Toftlund wußte, daß Vuldom ein Auge auf sie hatte. Nicht um sie bei einem Fehler zu ertappen, sondern um ihrer neuen Rekrutin unter die Arme zu greifen, wenn sie Unterstützung brauchte.
»Können wir vielleicht zu unserm eigenen kleinen Ententeich zurückkehren?« fragte Bastrup. »Oder geht die Religions- und Geschichtsstunde weiter?«
Toftlund setzte sich.
»Gibt es noch irgendwas, das ich wissen muß? Ich soll nämlich wieder einen Bericht schreiben. Langsam komme ich mir vor wie ein Gymnasiast, der ständig Aufsätze schreiben muß.«
»Ich hab da etwas, was ich gerne mit euch durchgehen würde.«
Es war Skovgård. Seine Stimme war genauso anonym wie sein Äußeres, ein wenig dunkel und weich, ein hübsches, gepflegtes Hochdänisch, schwer zu lokalisieren. Vielleicht mit einer etwas altmodischen Diktion. Auch die Stimme spiegelt die jeweilige Persönlichkeit wider, ebenso individuell wie ein Fingerabdruck, aber Skovgårds Stimme hatte kaum charakteristische Eigenschaften. Er trug wie üblich Jackett und Schlips, ordentlich, diskret, nichtssagend. Der etwas verstaubte Angestelltentyp.
Toftlund nickte. Draußen hatte es angefangen zu regnen, schwere Tropfen schlugen gegen die Scheiben und übertönten das Summen der Computer.
»Ich habe mich ja eingehend mit der Kriminalität im Rockermilieu beschäftigt, bevor ich in unsere Gruppe beordert wurde«, sagte Skovgård. »Ich habe meine Quellen. Die Rocker mußten sich eine Zeitlang mit Gruppen jüngerer Ausländer herumschlagen, um ihre Territorien zu verteidigen. Der Haschischgroßhandel liegt größtenteils in den Händen der Rocker, und die lassen natürlich keine größere Konkurrenz zu, werden jetzt aber von den neuen Banden bedrängt, die rücksichtslos und gut organisiert sind. Die Rocker beklagen sich, sie hätten es schwer. Auch weil die Politiker und die Medien und wir ihnen so auf die Finger schauen. Gegen eine Verlagerung des allgemeinen Interesses auf die Konkurrenz hätten sie also nichts einzuwenden. Deshalb bekam ich vor einigen Tagen einen Hinweis auf einen kleinen Tag-und-Nacht-Kiosk in Vesterbro. Illegal importierte Limo und solche Sachen, aber die Quellen sagen, der Eigentümer helfe mit, den Import eines großen Postens Haschisch aus Marokko über Spanien nach Dänemark zu organisieren und zu finanzieren. Fast eine Tonne. Sie ist schon im Schengen-Gebiet und auf dem Weg zu uns. Sie wußten zwar auch nicht, wie, aber wenn es uns gelingen würde, das Haschisch zu beschlagnahmen, wäre das ein harter Schlag für die Konkurrenz und würde die Preise in Christiania ordentlich in die Höhe treiben.«
Er hörte auf zu sprechen.
»Gut«, meinte Toftlund. »Und weiter …?«
Charlotte faltete ihre Hände auf dem Tisch. Die kurzgeschnittenen Nägel ihrer feingliedrigen Finger waren in einer Farbe lackiert, die zu ihrem Lippenstift paßte.
»Der Eigentümer heißt Suleiman Erkaban«, sagte sie. »Nicht aktenkundig. Kam 1971 als junger Mann hierher. Verschiedene Jobs als ungelernter Arbeiter. Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Zwei Jungen, zwei Mädchen. Die beiden Mädchen – die jüngsten der vier Geschwister – haben sich ihre Männer aus der Heimat geholt und wohnen heute in Nørrebro. Über sie haben wir nichts. Der Älteste kam vor sieben Jahren bei einem Verkehrsunglück in der Türkei ums Leben. Der jüngere Bruder heißt Bülent Erkaban. Wurde als Achtzehnjähriger eingebürgert. Abitur, studierte ein bißchen Jura, brach aber ab. Verschiedene Jobs. Er ist heute 31 Jahre alt und ist für einen ziemlich normalen Lohn im Kiosk seines Vaters angestellt, wohnt aber mit seiner türkischen Frau und seinen minderjährigen Kindern in einer Eigentumswohnung in Østerbro, die auf ein paar Millionen Kronen geschätzt wird. Sie leben recht gut. Die Kollegen hatten ihn schon mal auf dem Kieker, konnten ihm aber nichts nachweisen.«
Sie machte eine Pause, öffnete eine Flasche Zitronenlimonade, goß sich ein und trank.
»Hat dich Skovgård auf ihn angesetzt?« fragte Per und versuchte, ihren Busen unter der dünnen Bluse zu ignorieren.
»Ja. Bülent hat nämlich einen interessanten Freund, noch aus der Schulzeit. Ich habe also den größten Teil der Nacht im Netz verbracht. Der Freund heißt Marko Cemal und ist der Sohn eines jugoslawischen Gastarbeiters, der 1969
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