Der Feind im Spiegel
gut drauf, dachte sie und ließ sich wieder küssen und spürte seine Zunge und eine Sehnsucht im Unterleib, die sie in letzter Zeit ziemlich selten empfunden hatte. Freya kicherte und lachte, als merkte auch sie, daß gute Laune angesagt war.
»Per, das geht nicht …« flüsterte Lise und wehrte ihn halbherzig ab.
»Nein, aber später, wenn Freya ihre Äuglein geschlossen hat.«
»Per, das geht nicht …« Aber sie ließ sich wieder küssen und noch einmal, bis sie ihn endlich ganz außer Atem wegschubste.
Die unbeschwerte Stimmung setzte sich fort, und sie ließ sich von seiner Heiterkeit und dem sorglosen Lachen und Plappern des Kindes mitreißen. Sie ließ sich von ihm mit einem Gin Tonic ins Sofa drücken und mit überirdischen selbstgemachten Tapas verwöhnen: etwas Schinken und Melone, ein paar geräucherte Muscheln, Krabben mit Knoblauch und gute spanische Wurst. Er hatte eingekauft. Und zwar sorgfältig und nicht in irgendeinem zufällig am Weg liegenden Netto. Und er fragte, wie es in der Redaktion gewesen sei, und sie berichtete von den kleinen Querelen und Trivialitäten, die zu einem normalen Arbeitstag gehörten. Aber es tat so gut, darüber reden zu dürfen! Als Vorspeise gab es katalanischen Spinat mit Pinienkernen und danach gebratene Lammkoteletts mit Tomaten, es schmeckte himmlisch wie immer, wenn er sich Mühe gegeben hatte, und der dazu eingeschenkte Wein machte sie dösig und leicht zugleich, und als sie später Freya badete, während Per aufräumte, ertappte sie sich dabei, daß sie glücklich vor sich hin summte.
Sie setzten sich wieder an den Eßtisch. Sie hatten Freya noch eine Gutenachtgeschichte vorgelesen, dann war sie ohne Quengeln eingeschlafen. Er hatte einen Aschenbecher an Lises Platz gestellt. Freya schlief zwar, aber trotzdem. Was war heute abend nur in ihn gefahren? Aber vielleicht sollte sie es einfach nur genießen, ohne groß Fragen zu stellen, und sich an dem Mann ihr gegenüber erfreuen und an ihrem schönen Wohnzimmer, das mit dem Regen, der draußen im Herbstdunkel gegen die Fenster schlug, so gemütlich und warm wirkte.
»Okay, Per. Was ist los?« fragte sie dann doch.
»Sie haben ihn.«
»Wen? Osama?«
Er lachte.
»Nein. Vuk! Den serbischen Dänen.«
»Janos? Ich habe ihn als Carsten gekannt.«
»Ja, falls er so hieß. Die Amerikaner haben ihn festgenommen …«
Sie rührte sich nicht. Ihre Gefühle und Gedanken widersprachen sich. Einerseits die Freude, daß ein Mann, der sie beinahe getötet hätte und sie in ihren Alpträumen noch immer heimsuchte, hinter Gittern saß. Aber auch ein Gefühl der Angst und der Leere, weil er nun wieder in ihr Leben eindrang und sie an Ole erinnerte, den dieser brutale Auftragsmörder aufs grausamste umgebracht hatte. Nun würde die ganze schreckliche Geschichte wieder aufgerührt werden. Sie würde auf allen Fernsehkanälen und Titelseiten ausgewalzt werden und ihr Privatleben und innerstes Wesen okkupieren. Sie konnte den Gedanken kaum ertragen. Und sie verstand Pers Freude eigentlich nur, wenn sie versuchte, ein kleines bißchen rational zu denken.
»Wie haben sie ihn geschnappt?« fragte sie und war über die Nüchternheit, die sie dabei in ihre Stimme legte, selbst überrascht. Als wenn das hier bloß ein Interview wäre.
»Wegen des 11. September werfen sie ja ein feinmaschiges Netz aus. Nehmen eine Menge illegaler Einwanderer hops und checken sie durch. Gegen unsern Mann hatten sie nichts vorliegen, aber ganz routinemäßig haben sie seine Fingerabdrücke über Interpol rausgeschickt. Bingo. Kann sein, daß der Mistkerl gut im Verkleiden war und irgendwo anonym gelebt hat, aber seinen Fingerabdrücken kann er nicht entkommen. Mit vier Morden, mehreren Mordversuchen, Entführung und was weiß ich noch allem steht Dänemark an der Spitze der Länder, die ihn ausgeliefert haben wollen.«
»Und dann?«
»Und dann? Cara mia. Was meinst du denn? Er kommt vor Gericht und kriegt lebenslänglich. Und zwar richtig lebenslänglich. Nicht irgendwie sechzehn Jahre und dann wieder ab in die Freiheit. Er hat kaltblütig Menschen erschossen. Meinen besten Freund John. Er hat deinen Mann erschlagen und seinen eigenen Freund erdrosselt. Er hat einem Kameramann, der dann später daran gestorben ist, durch den Hals geschossen. Der Mann ist ein kaltblütiger Mörder. Er gehört ins Gefängnis.«
»Ich dachte, er sei längst tot. Das hast du doch auch gedacht.«
Per schüttelte den Kopf.
»Doch, hast du.«
»Ich dachte, er würde
Weitere Kostenlose Bücher