Der Feind im Spiegel
Und Trost hatten sie beide nötig. Sie schüttelte ihre Haare. Sie hatte die Nase voll von ihrem Selbstmitleid und ihrer ewigen selbstgewählten Opferrolle. Sie war verdammt noch mal eine berufstätige Frau! Eine Journalistin, die in Dänemark anerkannt war. Eine erwachsene Frau. Es gab absolut keinen Grund für diese permanent in ihr nagende Unsicherheit und ihr fehlendes Selbstwertgefühl.
Sie ging am Haus entlang und betrat den kleinen Garten. Es lag schon wieder Regen in der Luft. Sie hörte eine Elster kreischen und fühlte den Wind im Haar. Sie fröstelte und verspürte die ersten Anzeichen des Kopfwehs, das neben dem schlechten Gewissen zur Zeit ihr zweiter ständiger Begleiter war.
Sie trat auf den Rasen. Er war naß und rutschig, aber noch schön grün. Sie konnte in die Küche der Nachbarn von gegenüber sehen. Das junge Paar stand mit einem Glas Wein in der Hand am Küchentisch und unterhielt sich. Es sah verdammt gemütlich aus. Sie wußte nicht recht, warum sie durch den Garten ging und nicht die Haustür benutzte, es war instinktiv geschehen, als wollte sie ihren eigenen Mann belauern, oder vielleicht hatte sie auch einfach keine Lust auf die übliche Gleichgültigkeit, die zwischen ihnen herrschte.
Per hantierte in der Küche, die zum Wohnzimmer hin offen war. Er hatte sie nicht bemerkt. Die Gardinen im Erker waren aufgezogen, so daß sie freie Sicht auf den ganzen Raum hatte. Jetzt konnte sie auch die Musik hören, klassische Musik, sehr laut. Es waren Vivaldis Vier Jahreszeiten, aber sie war sich nicht sicher, daß er das überhaupt wüßte, wenn sie ihn danach fragte. Er war dabei, Essen zu machen, und sah in seinem kurzärmligen Hemd und der blauen Männerschürze, die sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, gutgelaunt und entspannt aus. Ganz der alte. Er war ein hervorragender Koch und fühlte sich in der Küche ganz in seinem Element. Er konnte sie mit seinen Kochkünsten verführen. Hatte sie verführen können. Es war nämlich schon lange her, daß er sie bekocht hatte. Sie betrachtete ihn. Er war ein rauher Typ, aber hatte sie nicht genau deswegen Feuer gefangen? Er war ganz anders als die andern Männer, die sie gekannt hatte, und ganz anders als Ole, mit dem sie verheiratet gewesen war. Per war frech, charmant und ein wunderbarer Liebhaber, freilich war er auch ein Mann, der sein Tun und Lassen niemals jemandem anvertrauen würde. Nie wußte sie, was er eigentlich den ganzen Tag so trieb. Sie hatte gehofft, das gemeinsame Kind würde ihn offener machen und ihn in die Lage versetzen, sein Leben mit ihr zu teilen. Die Hoffnung hatte sie aufgegeben. Zu Pers geheimem Leben hatte sie keinen Zutritt. Einst hatte sie geglaubt, sie besäße den Schlüssel zu seinem Innern. Aber vielleicht hatte auch die Erkenntnis, daß sie ihn eben nicht besaß und in diesem Innern womöglich auch gar nicht so viel verborgen war, ihre Liebe nach und nach erkalten lassen. Andererseits, wenn sie ihn so anschaute, wie er in ihrer gemeinsamen Küche die Töpfe schwang, mußte sie an leidenschaftliche Umarmungen, an seinen starken Körper und seine warmen Hände denken, und plötzlich wußte sie nicht mehr, ob sie hemmungslos heulen oder ins Haus stürmen und ihm die Kleider vom Leib reißen sollte.
Lise schüttelte sich. Die ersten Regentropfen trafen ihre Wangen. Sie konnte hier nicht ewig stehenbleiben. Was würden die Nachbarn denken? Was würde Per denken, wenn er sie entdeckte? Sie entfernte sich rückwärts vom Fenster und ging zum Auto zurück. Freya schlief noch. Sie hörte den Regen auf das Dach des Carports prasseln, als sie das schlummernde Kind losschnallte und sich innerlich darauf vorbereitete, ihrem Mann gegenüberzutreten.
»Hereinspaziert, meine Schönen«, sagte er und empfing sie in der Tür mit Kuß und Umarmung und nahm Freya auf den Arm und schaffte es wundersamerweise, das kaum erwachte kleine Mädchen zum Lachen zu bringen, indem er es herumwirbelte und ihm auf die Nase pustete. Er war ganz ausgelassen. »Setz dich hin. Heute wird was Gutes aufgefahren. Lecker Mus für die kleine Maus und nur vom Feinsten für meine vielbeschäftigte Gattin.«
Lise konnte nicht anders, sie mußte ebenfalls lachen. »Was hast du geschluckt, Per? Glückspillen?«
»Brauche ich nicht. Ihr seid meine Glückspillen.«
»Man könnte meinen, du hättest die Pusher Street in Christiania geräumt und die Beute behalten.«
» No cara. Tengo buenas noticias! «
Wenn er ins Spanische überwechselte, war er richtig
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