Der Feind im Spiegel
Lebens. Der Körper hält es nur nicht so lange aus. Dann habe ich mich bei der Polizei beworben. Ende der Geschichte.«
»Du bist verheiratet und hast ein Kind, soweit ich weiß.«
»Da bin ich nicht der einzige.«
»Aber im Augenblick bist du allein?«
»Wer sagt denn das?«
»So was bekommt man eben mit in einem Büro. Und auch wenn unseres geheim ist, so ist es doch ein typisch dänisches Büro mit typisch dänischem Kaffeepausenklatsch.«
»Tove sollte gefälligst ihre Klappe halten.«
»Aber du bist allein.«
Das war eine Aussage, keine Frage. Er zuckte die Schultern und brach sich auch ein Stückchen Brot ab. Konnte schon sein, daß das Lokal trendy und teuer war, aber fix waren sie hier nicht gerade.
»Wir haben uns vorübergehend getrennt.«
»Das tut mir leid.«
»Ach ja?«
»Ja.«
Sie schwiegen, ehe Aischa wieder eine Frage stellte. Er sah sie an. In den Augenwinkeln hatte sie feine Fältchen, sonst war ihre Haut glatt und zart, und ihr Haar war pechschwarz ohne eine einzige graue Strähne. Sie war nur leicht geschminkt, aber ihre Lippen waren leuchtend rot.
»Man sagt, es sei da was mit dem Flakfort gewesen.«
»Sagt man das?«
Seine Stimme hatte jetzt einen dunklen Klang, und er schaute weg.
»Was ist denn da passiert?«
»Ich glaube, es gibt keinen Grund, darüber zu reden.«
Er merkte, daß seine barsche Antwort sie ein wenig erschreckte, vielleicht erinnerte sie sich auch plötzlich daran, daß er ja trotz allem ihr Chef war. Der Kellner rettete sie, sie bestellten Lamm. Sie unterhielten sich über Wind und Wetter, Fernsehprogramme und die neue Regierung. Toftlund war im großen und ganzen sehr zufrieden mit den Initiativen, die eine breite Mehrheit im Folketing schon abgesegnet hatte oder bald absegnen würde. Sie bekamen dadurch einfach bessere Instrumente an die Hand, um ihre Ermittlungen durchzuführen. Es war auch höchste Zeit, daß ihre Abteilung die Möglichkeit erhielt, V-Leute in terroristische oder kriminelle Milieus einzuschleusen. Es überraschte ihn nicht, daß Aischa Bedenken hatte. Sie war Akademikerin, keine Politikerin. Die nahmen immer diese einfache, verantwortungslose Haltung ein, dachte er wieder einmal. Und stellten diese abstrakten Fragen: Wie weit darf eine Demokratie zu ihrer Verteidigung gehen und sich trotzdem noch Demokratie nennen? Er und die Kollegen durften dann in der Zwischenzeit den Dreck wegräumen.
Aber das war schon in Ordnung. Es war auch in Ordnung, daß sie beim Essen hin und wieder schwiegen. Er empfand es als ganz natürlich. Als ob sie sich schon lange kennen würden. Und zwar gut. Das Stück Lamm war übrigens ebenfalls sehr gut. Der Kellner hielt ihnen einen längeren Vortrag über die wertvollen Zutaten. Das war jetzt überall so. Ohne Vorlesung mit einem Haufen auswendig gelernter Vokabeln kriegte man heutzutage keinen Teller mehr hingestellt. Die Köche waren die neuen Stars. Sie machten kein Essen, sie schufen Kunstwerke. Er nickte eifrig, aber wenn man ihn nach dem Inhalt des Vortrags gefragt hätte, hätte er ziemlich blaß ausgesehen.
Toftlund hatte gegen einen guten Bissen nichts einzuwenden und Aischa offenbar auch nicht, obwohl sie fast ein Drittel auf dem Teller ließ, während er alles wegputzte. Sie bestellten Kaffee. Einen doppelten Espresso. Toftlund dachte an Aischas Dossier und an ihr Leben, das sich von seinem oder auch von Lises so grundlegend unterschied. Aber die nackten Fakten in den Personalunterlagen verrieten weder die inneren Kämpfe noch die Gefühle, die zum Gepäck jedes Menschen gehören. Oberflächlich gesehen war Aischas Leben eine Erfolgsgeschichte. Eine Mustereinwanderin, dachte er. Der Vater 1970 aus Palästina gekommen. Die Frau folgte ein paar Jahre später. Den größten Teil seines Lebens war der Vater Fabrikarbeiter gewesen. Die Mutter hatte nie gearbeitet. Sie wohnten nach wie vor in ihrer Vierzimmerwohnung in Hvidovre. Der eine jüngere Bruder hatte ein Gemüsegeschäft in Rødovre. Der andere schloß im Sommer sein Medizinstudium ab. Zwei Akademiker in so einer Familie. Eigentlich beeindruckend. Erst die große Schwester, dann der kleine Bruder. Und Aischa war die einzige von ihnen, die politisch ein wenig aktiv gewesen war. Er hatte einige ihrer Beiträge gelesen. Sie waren von Vernunft und Dialogbereitschaft geprägt. Sie nannte sich kulturelle Muslimin, war keine praktizierende Gläubige, fand es aber wichtig, daran festzuhalten, daß der Islam ein Teil ihrer Herkunft war. Sie fühlte sich
Weitere Kostenlose Bücher