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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Zeit von den Dänen und den anderen. Von denen und uns. Du bist doch dänische Staatsbürgerin, oder?«
    »Selbstverständlich. Aber so ist das eben. Wir haben viele Namen. Zweite-Generations-Einwanderer. Dänen anderer ethnischer Abstammung. Neudänen. Aber weißt du, wie wir am häufigsten genannt werden?«
    Er schüttelte den Kopf, obwohl er genau wußte, was jetzt kam.
    »Fremde. Ich bin dänische Staatsbürgerin, aber Fremde. Seltsam, nicht?«
    »Ich weiß nicht. Mein Großvater war auch ein Fremder, als Nordschleswig noch deutsch war. Meine Mutter war auch eine Art Fremde im Grenzland.«
    »Das ist nicht das gleiche.«
    »Trotzdem.«
    Sie brach kleine Stückchen von ihrem Brot ab und ließ sie wie Schnee auf ihren Teller rieseln. Es war eine Unsitte von ihr, wenn sie nervös war.
    »Paß auf, Per«, sagte sie. »Die meisten Dänen sind keine Rassisten. Sie wollen einfach sie selbst sein. Die meisten Dänen denken, sie haben die beste Gesellschaft der Welt erschaffen und alle anderen sind darauf aus, Dänemark zu zerstören. Ich war nie direktem Rassismus ausgesetzt, aber ich begegne immer dieser kleinen Distanzierung. Diesem kleinen Blick. Man hält Abstand. In Dänemark fühle ich mich oft fremd. In New York oder London nicht. Dort bin ich eine Frau mit guter Ausbildung und werde auch als solche angesehen. In Dänemark bin ich in erster Linie eine Fremde unter vielen.«
    »Nicht für mich.«
    »Nein, nicht für dich. Aber weißt du was?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Manchmal habe ich Lust, ein Kopftuch umzubinden. Wir haben darüber in der Gruppe von Akademikerinnen …«, sie sprach das folgende spöttisch aus, »… anderer ethnischer Abstammung gesprochen, die sich hin und wieder trifft. Daß wir aus Protest Kopftuch tragen sollten. Wenn ihr uns abstempeln wollt, dann bitte! Kopftücher sind eine uralte Tradition, aber unter jungen Mädchen sind sie heute oft eine Art Protest.«
    »Aber du tust es nicht?«
    »Nein. Ich habe für meine Freiheit gekämpft, um nicht mit dem Vetter verheiratet zu werden, von dem du geredet hast. Einfach war’s nicht.«
    »Kann ich mir vorstellen.«
    »Nein. Kannst du dir nicht vorstellen. Du weißt nicht, was Ehre und Schande in meiner Kultur bedeuten.«
    »Dann sag’s mir!«
    »Mein geliebter Vater hat gelernt, mit seiner Enttäuschung über meine Entwicklung zu leben. Er wird mir wohl nie verzeihen, aber er liebt mich einfach zu sehr. Die Schande, daß ich die Familienehre verletzt habe, sollte trotz allem nicht dazu führen, daß ich ausgestoßen werde …«
    »Oder ermordet.«
    »Auch das, ja.«
    »Und deshalb hast du nie geheiratet und Kinder bekommen.«
    Sie lachte, aber ihre Augen lachten nicht.
    »Das, Per Toftlund, geht dich nichts an.«
    »Du hast Liebhaber gehabt.«
    »Steht das auch in meinen Unterlagen?«
    »Das unterliegt der Geheimhaltung, was da drinsteht.«
    »Da kannst du mal sehen. Du bist ständig im Vorteil, immer einen Schritt voraus. Du darfst mein Dossier lesen. Ich nicht.«
    »So ist es nun mal. Ich bin dein Chef.«
    »Okay, Chef. Dann möchte ich mich für den schönen Abend bedanken.«
    Er lächelte. Sie gefiel ihm immer besser.
    »Bitte sehr. Aber sag mir doch noch schnell – und dann lasse ich dich in Ruhe –, wie bist du dem Vetter entkommen?«
    Sie lächelte zurück.
    »Das geht dich eigentlich nichts an, aber jetzt habe ich anderthalb Gläser Rotwein getrunken und wieder mal gegen den Koran verstoßen, da macht das jetzt auch nichts mehr.
    Er hieß Jens. Er hatte braune Augen und braune Haare und trug eine Brille. Er war dünn und alles andere als ein Kerl. Bei uns waren die Jungs Machos. Sie quatschten immer von der Ehrbarkeit ihrer Schwestern und von den dänischen Nutten. Hinter denen waren sie her. Mit hängender Zunge. Sie behängten sich mit dicken Goldkettchen und schwänzelten auf eine Art durch die Gegend, die mich rasend machte. Jens war das schiere Gegenteil. Sanft und belesen. Schmalschultrig und verständnisvoll. Im Abijahr habe ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Am Tag nach meinem achtzehnten Geburtstag, vier Tage, bevor ich nach der Lesung des Folketings auf die Liste der neuen dänischen Staatsbürger gesetzt wurde, ließ ich mir von ihm meine kostbare Unschuld rauben. Das war nicht angenehm, aber es wurde angenehm, und es war so lange angenehm, wie wir zusammen waren. Meine Eltern waren außer sich, der eine kleine Bruder ist völlig ausgerastet, der andere Bruder hat mich verteidigt, und ich bin standhaft geblieben.

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