Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
zitterten leicht, er war aschgrau unter seiner dunklen Haut.
    »Stimmt was nicht?« fragte Vuk.
    »Weiß nicht. Mein Herz fing nur gerade wie wild an zu hämmern.«
    »Das ist der Nachschock. Atme ein paarmal tief ein. Und langsam ausatmen. Entspann dich.«
    »Hilft nichts.« Mike atmete schwer. Vuk befürchtete, daß er kurz davor war zu hyperventilieren, aber Mike stand auf und ging, ohne nach rechts oder links zu sehen, über die Straße zu dem großen Eukalyptusbaum. Ein Pick-up mußte scharf bremsen. Vuk beobachtete, wie Mike sich gegen den Baumstamm lehnte und sich erbrach. Er ließ ihn zufrieden. Er aß seinen Burger und die grobgeschnittenen Pommes frites, trank seinen Eistee und bestellte Kaffee. Eine Viertelstunde später kam Mike zurück. Er steuerte direkt auf die Toiletten zu. Als er wiederkam, sah er etwas frischer aus, aber die Leblosigkeit in seinen Augen, die würde nicht so schnell verschwinden, dachte Vuk. Mike setzte sich und leerte sein Glas mit Eistee und das noch halbvolle mit Wasser auf einen Zug.
    »Danke«, sagte er schlicht.
    »Ich habe doch nichts gemacht.«
    »Eben.«
    Mike machte Joe-Ann ein Zeichen und bat um die Rechnung.
    »Tust du mir einen Gefallen?« sagte er.
    »Wenn ich kann.«
    »Fahr uns ein bißchen spazieren. Ich habe jetzt keinen Bock auf den Obersten. Nicht jetzt.«
    »Ja, gern, aber … ich habe keinen Führerschein. Ich habe überhaupt keine Papiere.«
    Mike lächelte. In seine Augen kehrte nun doch ein bißchen Leben zurück.
    »Ich werd dich schon nicht verhaften.«
    »Und was, wenn uns der Ortsbulle anhält?«
    »Ich hab meine Marke, Mann.«
    Sie fuhren aufs Geratewohl los. Mikes Dienstwagen war ein unauffälliger, fast neuer Buick. Es war herrlich, wieder Auto fahren zu können. Es war wie radfahren, man verlernte es nie, und die amerikanischen Wagen mit ihrem automatischen Getriebe waren so kinderleicht zu lenken wie Autoskooter. Auf den schmalen Straßen begegnete ihnen kaum ein anderer Wagen. Mike schaltete das Radio an und sie hörten alte Rocknummern. Sie machten die Klimaanlage aus, rollten mit offenen Fenstern durch die Gegend und ließen sich die warme Luft um die Nase wehen. Rinder oder Pferde standen auf Weiden, die wie in einem Western von weißen Gattern umzäunt waren. Später, als sie die braunen Lavahänge herunterkamen, fuhren sie an Zuckerrohrfeldern vorbei. Sie sagten nichts. Sie gondelten planlos über die Insel, bogen nach Gusto in kleine Sträßchen ein, ließen sich vom Radio berieseln und vom Fahrtwind streicheln. Mike entspannte sich von Minute zu Minute mehr.
    Auf den schmalen gewundenen Höhenstraßen im Norden gerieten sie in einen unerwarteten, heftigen Schauer, der die Berge in ein traumhaftes, seidiges Licht hüllte, bis er ebenso plötzlich aufhörte, wie er eingesetzt hatte, und ein Regenbogen zwischen den Gipfeln zu sehen war. Mike döste ein. Er schlief mit halb geöffnetem Mund. Er hatte kleine Unreinheiten in seinem schwarzen Teint, und durch das kurzgeschnittene Haar glänzte die Kopfhaut. Mikes Dienstpistole beulte das locker hängende Hemd aus. Es wäre ein leichtes gewesen, ihn zu überrumpeln und ihm die Pistole abzunehmen. Aber wozu? Vuk käme nicht von der Insel weg, und besonders Emma und den Zwillingen würde es nichts nützen. Anna und den Zwillingen. Eine solche Aktion würde ihnen nur den Neuanfang vermasseln, sonst nichts. Er hatte eine Menge Chancen in seinem Leben gehabt. Dies hier war die letzte.
    Mike wachte auf und reckte sich.
    »Mein Gott, ich hab geschlafen wie ein Baby.«
    »Geht’s dir besser?«
    »Alles im grünen Bereich, Mann. Wo sind wir eigentlich?«
    »Auf dem Heimweg. Es ist nicht mehr weit.«
    »Kannst du mal anhalten?«
    »Hier?«
    »Ja, einmal wenden, bitte. Da, die kleine Kirche. Ich möchte gerne beten.«
    Vuk bremste und drehte und fuhr zu einem Kirchlein, das umgeben von kleinen Holzhäusern an einer Wegkreuzung stand. Es gab einen K-mart und eine Tankstelle. Am Ende der einen Straße sah man das Meer. Die Villa war nicht mehr weit. Vuk wunderte sich nicht. An das unbekümmerte Verhältnis der Amerikaner zur Religion hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Ich gehe ins Kino. Ich gehe in die Kirche. Ich gehe einen trinken. Ich gehe beten. Alles geschah mit der gleichen Selbstverständlichkeit. Es war kein Mensch zu sehen, aber die Kirchentür war offen. Willkommen stand darüber. Alle sind willkommen, die bei uns beten wollen. Er ließ Mike eintreten. Er selbst blieb draußen. Das weiße

Weitere Kostenlose Bücher