Der Feind im Spiegel
sagen, du bist mein Freund.«
Vuk machte sich frei.
»Vielleicht solltest du am Steuer sitzen, wenn wir bei der Villa ankommen. Sonst rastet der Oberst aus.«
Er warf Mike den Autoschlüssel zu.
»Wo du recht hast …«
»Und nichts mehr von Religion, okay?«
»Okay. Nur noch eine letzte Predigt, mein Freund. Die Terroristen, die uns am 11. September angegriffen haben, waren nicht von Gott erfüllt. Sie waren haßerfüllt. Wenn man haßerfüllt ist, hat man Gott verstoßen. Es ist kein Platz für beides. Kann sein, daß sie Allah anriefen, aber sie werden dem Teufel begegnen, wenn der Tag gekommen ist.«
Vuk öffnete die Beifahrertür und sah zu Mike hinüber.
»Meinst du wirklich, sie haben Allah angerufen in der letzten Sekunde, bevor sie in die Türme geknallt sind.«
»Wen denn sonst?«
»Ihre Mutter. Ich glaube, sie riefen nach ihrer Mutter.«
Mike lachte befreit.
»Steig ein, Gefangener. Der Jüngste Tag ist nah. Und such mal richtig gute Rapmusik im Radio. Ich bin jetzt in der Stimmung dafür. Wenn Hawaii keinen Rap zu bieten hat, dann lege ich Beschwerde ein beim Gouverneur, beim Präsidenten und sogar bei unserm Oberst Alleswisser.«
In der Nacht träumte Vuk zum erstenmal seit vielen Monaten wieder von der Blutwalze. Aber diesmal war es anders. Schon zu Beginn des Traums saß er selbst auf der Walze. Es war dieselbe Landschaft wie sonst: Feuerrote Berge und Täler und Menschen, die blutüberströmt vor der riesigen, alles zermalmenden Straßenwalze flohen. Aber die, die er da gleich überrollen würde, waren nicht seine Eltern und sein Schwesterchen Lea. Es waren Emma, Jonathan und Cathy. Emma hielt die Kinder an der Hand. Sie lächelte, und die Kinder winkten. Schweiß brannte ihm in den Augen und bedeckte seinen ganzen Körper. Er verkrampfte sich. Der Aufprall war unumgänglich – da änderte der Traum unvermittelt seinen Charakter. Er befand sich mit Emma im Bett ihres alten Hauses in der Heimat. Sie war nackt und saß rittlings auf seiner Brust und schüttelte ihr Haar über seinem Gesicht. Dann schwebte sie langsam rückwärts, als wäre sie schwerelos, hob ihren Unterleib, rieb ihre Scham an seinem harten Glied und führte es langsam ein, und es verschwand in ihr und hörte gar nicht mehr auf damit, und ganz unmerklich veränderte sich ihr Antlitz, als er die Hände ausstreckte und auf ihre Brüste legte. Die Veränderung ihres Gesichts, die sich da anbahnte, machte ihm angst, aber seine Lust war stärker. Er hat nie erfahren, was Emmas Gesicht zu zeigen sich anschickte, denn er schreckte mit einem halbunterdrückten Schrei auf und spürte den warmen Erguß auf seinem nackten Bauch und bemerkte den ersten zarten Schimmer des Morgens hinter den weißen Gardinen.
16
Das entscheidende Verhör fand nicht in dem üblichen Zimmer statt. Der Oberst hatte dafür einen kleineren Raum im Erdgeschoß ausgesucht. Das klare Morgenlicht fiel grün durch die großen Fenster. Der Duft des Meeres und das Rollen der behäbigen Brandungswellen übten eine beruhigende Wirkung auf Vuk aus. Er hörte das sanfte Summen der Autos von der Straße und ein Frauenlachen, das glücklich und verliebt klang. Er hörte den Wind in den Palmblättern. Er hörte ihr Rascheln und Säuseln. Alles stand ihm klar und deutlich vor Augen. Es war dasselbe Gefühl wie früher vor einer Aktion. Alle Sinne in höchster Alarmbereitschaft. Vuk fühlte die Spannung, aber auch die Ruhe. Er fühlte sich wie in einer Examensprüfung, aber er hatte sich optimal vorbereitet. Etwas Glück mußte auch hinzukommen. Das hatte er nicht in der Hand.
Der Lügendetektor war schon aufgebaut.
Vuk mußte mit dem Rücken zum Fenster und zum Meer sitzen. Ihm gegenüber der Psychologe und der Oberst. Als sie am Morgen ihre übliche Strecke gelaufen waren, hatte Mike ihm gesagt, daß er nicht dabeisein würde.
Der Lügendetektor stand auf einem kleineren Tischchen, es war kein besonders großer Apparat. Er war an einen Laptop angeschlossen. Drei verschiedene Sätze Kabel und Schläuche waren fein säuberlich ausgelegt und sollten gleich mit Vuk verbunden werden. Es sah beinahe wie bei einer ärztlichen Untersuchung aus, aber in dieser kühlen Technik lag die Zukunft von Emma und den Kindern. Und seine eigene natürlich, aber ohne seine Familie hatte die Zukunft ohnehin keinen Sinn.
Neben diesem klinischen, kalten Gerät glich der FBI-Psychologe einem Penner. Er war fett und hatte schon so früh am Morgen gewaltige Schweißflecke unter den Armen.
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