Der Feind im Spiegel
aufgenommen worden, aber der Fotograf hatte es so bearbeitet, daß Vuk auf dem Bild etwas jünger aussah. Es schien tatsächlich schon vier Jahre in dem Paß zu kleben und von der Grenzpolizei vieler Länder betrachtet worden zu sein. Das Gesicht wirkte sehr amerikanisch. Wie ein älteres Foto im Jahrbuch eines angesehenen Colleges.
Hinzu kamen ein Führerschein, eine social security card und eine Brieftasche mit einigen Dollar- und Euroscheinen sowie Fotos einer blonden Frau und zweier Jungen von etwa sechs und acht Jahren. Außerdem eine American-Express-Goldkarte, eine Mastercard und eine Avis-Karte. Es war geplant, daß Ron Gibson im Flughafen Seattle einen Avis-Mietwagen reservierte, der dann am Amsterdamer Flughafen für ihn bereitstehen würde. Er sollte mit dem Wagen nach Dänemark fahren. Er befand sich dann innerhalb des Schengen-Gebiets, und es wäre schwieriger, ihm zu folgen und ihn zu kontrollieren, wenn er per Auto einreiste.
Marker stellte auch einen Laptop auf den Tisch und sagte: »Sag deiner neuen Gattin und deinen Kindern guten Tag. Grace ist Mitarbeiterin in der Firma. Falls jemand auf die Idee kommen sollte, deine Nummer anzurufen, meldet sich eine Frau. Sie kennt genug von deiner neuen Vita, um ein erstes Gespräch bestehen zu können. Auch deine eigene Legende ist hier auf dem Rechner. Dein Hintergrund, deine Familienverhältnisse. Alles, was dich zu Ron Gibson macht. Lerne sie auswendig und lösche dann die Datei. Wenn ich dich mitten in der Nacht wecke, mußt du sie runterrattern können. Es gibt auch mehrere Geschäftsbriefe, Rechnungen und Vorschläge für IT-Kooperationen, Entwürfe für Vorträge und einen Terminkalender, auf dem Termine in Amsterdam, Paris und Kopenhagen notiert sind. Er reicht drei Jahre zurück und zeigt, daß du aufgrund deines Jobs als Computerverkäufer ständig unterwegs bist. Die Geburtstage deiner Lieben usw. sind auch eingegeben. Hier ist dein Leben. Machen Sie sich in den nächsten Tagen damit vertraut, Mr. Gibson aus Seattle.«
Vuk nickte. Marker schwitzte ein wenig. Heute wehte ein feuchtwarmer Wind vom Meer, wo die Dünungen behäbig und schwer anrollten. Weiter draußen waren sie höher, und Vuk konnte sehen, daß die Surfer vor dem Riff lagen und auf die richtige Welle warteten.
»Wir schicken Mike mit.«
»Mike ist FBI, nicht CIA.«
»Wir borgen ihn uns. Ihr arbeitet gut zusammen, ihr zwei. Wir wollen dich nicht in der Nähe der Botschaft in Kopenhagen sehen, und wir erzählen auch dem Chef unserer dortigen Basis nichts. Wir können nicht verhindern, daß er von einem temporären Agenten auf seinem Territorium Wind bekommt, aber er hat den Befehl, die Finger davon zu lassen. Du kommunizierst mit Mike. Verstanden?«
»Verstanden. Aber wie? Über einen stillen Briefkasten?«
»Davon sind wir wieder abgekommen. Kauf dir ein Handy mit Prepaid-Karte. Mike macht dasselbe. Wirf die SIM-Karte nach jedem Gebrauch weg und kauf dir eine neue Nummer. Schalte eine Annonce in der International Herald Tribune, wenn du deine Nummer hast, aber halte sowenig physischen Kontakt wie möglich. Du bist im Hotel Marriott gebucht. Kennst du das?«
»Nein.«
»Ist auch nagelneu, wie geschaffen für einen hotshot von Microsoft.«
»Ich würde vorschlagen, daß ich mit dänischen Papieren weiterreise. Sobald ich im Schengen-Gebiet bin.«
Phil Marker sah ihn an. Er kratzte sich den stoppeligen Schädel und sagte: »Ich fand das erst eine miserable Idee, aber ich hab meine Meinung geändert. Du kannst die Sprache. Es ist also vollkommen in Ordnung, daß du als Däne operierst. Falls es notwendig wird. Die dänischen Papiere sind schon alle in der Mache. Paß, Führerschein, Krankenversicherungskarte und das, was sie Visa-Dankort nennen, aber damit durch die Weltgeschichte zu reisen, ist viel zu riskant. Du kriegst die Sachen von Mike. Vielleicht in einem stillen Briefkasten, vielleicht in einem Garderobenschrank. Mal sehen. Sie sind jedenfalls fertig, wenn du in Dänemark ankommst. Soweit alles klar?«
»Selbstverständlich.«
»Selbstverständlich, sagt er. Du bist ein cooler Typ, John. Ein cooler Typ. Dann kommen wir also zu meiner eigentlichen Vorlesung über al-Qaida und unsere Position im Kampf gegen diese Mörderbande.«
Marker erklärte die weitverzweigte Struktur und den komplizierten und gleichzeitig simplen Aufbau des al-Qaida-Netzwerks. Vuk war beeindruckt. Marker fing bei dem Flugzeugentführer Mohammed Atta an, und von ihm ausgehend zeigte er auf
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