Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
große Zukunft vor mir.«
    »Ich möchte doch nur, dass du –«
    Das Telefon klingelte. Wir sahen uns verblüfft an.
    »Wer, zum Teufel, ruft um diese Zeit noch an?«
    Ein Angstschauder ließ mich zum Telefon stürzen, aber Charlie war schneller. »Ja? Oh.« Seine Gesichtszüge entspannten sich, und seine Stimme klang nicht mehr so aggressiv. »Nein, wie durch ein Wunder habe ich noch nicht geschlafen. Ja. Ja. In Ordnung. Ich komme gleich rüber.« Er legte auf.
    »Was ist denn los?«
    »Naomi ist völlig panisch. Sie braucht bei irgendwas meine Hilfe.«
    »Um diese Zeit?«
    »Sie hat gesehen, dass bei uns noch Licht brennt.«
    »Was kann so dringend sein?«
    »Sie sagt, bei ihr in der Wohnung riecht es verbrannt. Sie hat Angst vor einem Kabelbrand.«
    »Kann sie nicht jemanden anrufen?«
    »Sie hat jemanden angerufen. Uns.«
    »Es ist mitten in der Nacht.«
    »Ich weiß, ich weiß«, antwortete er. »Und ich bin Klempner, nicht Elektriker. Aber sie ist unsere Nachbarin. Wenn ihr Haus abbrennt, erwischt es unseres auch.«

    »Komm bald zurück, Charlie. Wir können es nicht dabei bewenden belassen.«
    »Ich dachte, du hättest schon alle Probleme gelöst.« Und weg war er. Ich hörte die Haustür zufallen und dann seine Schritte durch die nächtliche Stille hallen.
    Ich blieb ein paar Augenblicke sitzen und ließ unser Gespräch vor meinem geistigen Auge Revue passieren, rief mir Charlies harten, wütenden Gesichtsausdruck ins Gedächtnis. Dann steckte ich seine zu Stapeln sortierten Briefe in lauter separate Hüllen. Ich sammelte alle herumliegenden Stifte ein und stellte sie in einen Glaskrug. Ich stopfte den ganzen Abfall in den Müllsack und trug sämtliche Tassen und Aschenbecher in die Küche. Anschließend wischte ich noch alle Oberflächen mit einem feuchten Lappen ab. Als ich endlich fertig war, setzte ich mich in Charlies sauberem Zimmer an seinen aufgeräumten Schreibtisch, legte den Kopf auf die Arme und gestattete mir, in einen leichten, unruhigen Schlaf zu sinken.
    Irgendwann fuhr ich erschrocken hoch, wahrscheinlich, weil ich kurz davor war, vom Stuhl zu fallen. Ich fühlte mich steif und alles andere als erholt. Als ich auf meine Uhr schaute, stellte ich fest, dass es schon fast fünf war. Ich schleppte mich nach oben, aber Charlie war noch immer nicht zurück. Schließlich machte ich eine große Kanne starken Kaffee und rief bei Naomi an.
    »Naomi. Hier ist Holly.«
    »Holly! O Gott, es tut mir Leid, wenn ich dich um deine Nachtruhe gebracht habe. Charlie hat mich gerettet. Es war ein Elektrokabel. Die Drähte lagen bloß und waren schon schrecklich heiß. Er hat es provisorisch repariert, aber dazu musste er diesen Kasten von der Wand schrauben und dann –«
    »So genau wollte ich das gar nicht wissen«, unterbrach ich sie verschlafen. »Ich habe uns eine Kanne Kaffee gekocht. Kommt rüber und trinkt eine Tasse.«

    »Ich besitze leider nicht deine Energie. Was ich jetzt brauche, ist Schlaf, und nicht Kaffee, der mich wach macht.«
    Zehn Minuten später kam Charlie zurück. Er wirkte benommen und leicht abwesend, aber ich zerrte ihn trotzdem in sein Arbeitszimmer.
    »Hier«, sagte ich und reichte ihm einen Zettel. Er starrte ihn verständnislos an. »Ich habe es dir aufgeschrieben. Es ist ganz einfach. Du musst vier Telefonate führen, eines nach dem anderen. Am besten, du fängst um zehn Uhr an. Außerdem musst du drei Briefe schreiben. Ich habe sie für dich aufgesetzt.
    Es ist nicht so schlimm, wie es ausgesehen hat. Und schick die Honorarrechnungen ab. Vielleicht überweisen dir die Leute dann ein bisschen Geld.«
    Er starrte wieder den Zettel an, dann mich. »Wie schaffst du das bloß?«, fragte er.
    »Wenn ich eine Sache mal in Angriff genommen habe, kann ich erst wieder aufhören, wenn alles erledigt ist.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Das wegen vorhin tut mir Leid«, erklärte ich.
    »Nein. Nein, ich bin derjenige, dem es Leid tun sollte.«
    Ich schlang die Arme um ihn. »Zwischen uns ist doch alles in Ordnung, oder?«
    »Ich muss jetzt erst mal duschen«, erklärte er. »Und dann sollten wir versuchen, noch ein bisschen zu schlafen.«
    »Für mich ist es inzwischen viel zu spät, um ins Bett zu gehen.« Ich versuchte zu ignorieren, dass er meine Frage nicht beantwortet hatte. »Ich dachte, wir könnten zusammen frühstü-
    cken und vielleicht noch einen Spaziergang machen, bevor ich zur Arbeit muss.«
    »Bist du denn gar nicht müde?«
    »Die Bedeutung des Schlafs wird

Weitere Kostenlose Bücher