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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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erschossen.«
    »Sanchís?«, fragte ich mit weit aufgerissenen Augen, und sie, die auf Pepa achtete, die sich jedes Mal bekleckerte, wenn es Suppe gab, sah mich aufmerksam an.
    »Ja. Mutter sagte, du wüsstest es.«
    »Ja, aber ich war so müde. Curro war hier, und …« Vater hatte mich gebeten, niemandem etwas zu sagen, aber Dulce war meine Schwester, außerdem war ihr das alles sowieso egal. »Was ist denn passiert? Ich kann mich nicht richtig erinnern.«
    »Nichts.« Sie wischte Pepa erneut den Mund ab und schimpfte mit ihr, bevor sie weitersprach. »Heute Nacht haben die aus den Bergen ihnen einen Hinterhalt gelegt, und bei der Schießerei hat Sanchís Pirulete erschossen. Daraufhin hat ein anderer ihm einen Bauchschuss verpasst, und als Curro ihm zu Hilfe kam, war er schon fast verblutet und hatte so starke Schmerzen, dass er ihn gebeten hat, ihn zu erschießen.«
    Das ist nicht wahr, dachte ich, das kann nicht wahr sein. Und dennoch war es die offizielle Wahrheit, die um die Mittagszeit die Runde durch das Dorf machte, alle Gespräche in Cuelloduros Bar beherrschte und am nächsten Tag in den Zeitungen verbreitet wurde. Die Entscheidung kam von allerhöchster Stelle, vom Oberstleutnant persönlich, denn als Vaters Vorgesetzter am Morgen nach Jaén fuhr, um weitere Anweisungen einzuholen, hatte er etwas ganz anderes geplant gehabt. Er hatte Carmona befohlen, Piruletes Leiche zu bewachen, damit niemand sie vorzeitig entdeckte, und Sanchís in einem Krankenwagen nach Jaén mitgenommen, so als lebte er noch. Er hatte nicht einmal Pastora etwas gesagt, weil sie vor sieben losgefahren waren und die Schicht ihres Mannes erst um acht Uhr endete.
    »Es ist wohl am besten, wenn wir behaupten, die Banditen hätten ihn überfallen, er habe sich tapfer gewehrt, sei aber schwer verwundet worden und auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben«, erklärte der Leutnant seinem unmittelbaren Vorgesetzten in Anwesenheit von Izquierdo und Vater, die ihn begleiteten. »Wir könnten ihn sofort hier begraben, ohne Presse, ohne Zeremonie, ohne dass irgendetwas durchsickert, sein Gefährte, der einzige, der weiß, was vorgefallen ist, ist mein Schwiegersohn, der Ehemann meiner älteren Tochter.«
    Der Kommandant hielt es für einen schlauen Plan und sagte es dem Leutnant auch, traute sich aber nicht, ihn ohne Einwilligung seines Vorgesetzten zu billigen. Der Chef der Kommandantur kam Punkt zehn Uhr in sein Büro, brauchte jedoch nur zwei oder drei Minuten, um seinem Untergebenen zu erklären, dass er ein Trottel sei, den man einfach nicht allein lassen könne.
    »Bringen Sie mir den Leiter der Kaserne von Fuensanta her«, befahl er.
    Michelin, der vom Gang aus alles mitgehört hatte, trat allein ins Büro. Vater konnte nicht hören, was er sagte, vermutete jedoch, dass er die ganze Geschichte von A bis Z wiederholte, denn am Schluss hörte er dieselben Beschimpfungen des Oberstleutnants wie vorher, nur noch lauter.
    »Lassen Sie das Denken sein, Leutnant, das steht Ihnen nicht zu. Ich werde Ihnen jetzt sagen, was Sie tun werden.« Seine Stimme wurde immer lauter, bis sie sich fast überschlug. »Auf der Stelle, haben Sie verstanden? Sie bringen die Leiche sofort wieder dahin, wo Sie hergekommen sind, bahren sie im Fahnensaal der Kaserne von Fuensanta auf, mit allen Ehren, die einem für Gott und das Vaterland Gefallenen zustehen, versammeln seine Kollegen, Familienangehörigen und die Dorfbewohner, damit sie Totenwache halten, wie es sich gehört, und morgen früh lassen Sie ihn beerdigen, in Uniform, mit dem Dreispitz auf dem Kopf und den Orden an der Brust. Ist das klar?«
    »Jawohl, Herr Oberstleutnant, aber …«, antwortete Michelin, ohne den Befehl zu begreifen, »… ich weiß nicht, ob Sie es richtig verstanden haben, aber Miguel Sanchís war offensichtlich Republikaner, ein Kommunist, Herr Oberstleutnant, er war ein Verräter. Sollten wir ihn da wirklich mit allen Ehren beerdigen?«
    »Selbstverständlich! Wie einen Helden, allerdings wie einen von uns.« Auf dem Gang traute sich niemand, von den Fliesen am Boden aufzublicken. »Was wollen Sie? Dass sämtliche Roten dieser Provinz ihm sonntagmorgens Blumen aufs Grab legen, wie einem ihrer Helden? In Spanien gibt es keine kommunistischen Helden mehr, Leutnant, es wird langsam Zeit, dass Sie das begreifen! Es gibt nicht einen Kommunisten, Sozialisten oder Anarchisten mehr und keinen einzigen Republikaner. Wir haben sie alle beseitigt, die Helden der Roten ebenso wie die Feiglinge.

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