Der Feind meines Vaters - Roman
Dass ich Ihnen das wirklich noch erklären muss!«
»Nein, nein, Herr Oberstleutnant.« Und Michelin, der seine Beförderung bereits in Gefahr wähnte, verhedderte sich. »Das heißt, ja, doch, Herr Oberstleutnant.«
»Mein Gott, womit habe ich das verdient?« Der Leiter der Kaserne von Fuensanta de Martos öffnete die Tür, um diesem Unmenschen zu entkommen. Vater und Izquierdo konnten sehen, dass Oberstleutnant Marzal mit ausgebreiteten Händen zur Decke aufblickte, wie ein Priester während der Messe. »Was habe ich getan, dass du mich mit solchen Schwachköpfen bestrafst …? Machen Sie die Tür zu, verdammt nochmal!«
Nachdem er diesen letzten Befehl erhalten hatte, den sein Vorgesetzter mit einem wuchtigen Faustschlag auf den Tisch besiegelte, ließ Michelin sämtliche Zweifel fahren, und die feierliche Maschinerie der Lüge setzte sich in Bewegung, um Miguel Sanchís’ zweiten heldenhaften Tod zu zelebrieren.
»Offenbar hat er Curro noch gebeten, ihm den Orden an die Lippen zu halten, damit er ihn küssen kann, so wie Alfredo Mayo im Kino«, erzählte mir meine Schwester. Zwar wusste ich nicht, was sich am Morgen in Jaén zugetragen hatte, konnte mir aber denken, was in Fuensanta de Martos am Nachmittag los wäre. »Als er noch lebte, fand ich ihn furchtbar, aber jetzt … schade, nicht? Dabei sah er so gut aus.«
Dasselbe mussten die Zeitungsverleger gedacht haben, denn alle veröffentlichten ein großes Foto von Sanchís und widmeten den Rest der Seite seinem vorbildlichen Lebenslauf. Miguel Sanchís Rodríguez war 1916 in Toledo zur Welt gekommen, wo sein Vater, Spross einer Familie mit langer Tradition in der Guardia Civil, dem Befehl des Delegierten für die Provinzpolizei unterstand. 1934 trat der junge Sanchís in die Guardia Civil ein; während der glorreichen nationalen Erhebung machte er in der Kommandantur von Ciudad Real seine Ausbildung und blieb bis zum Ende des Krieges in der roten Zone. Als die Stadt 1939 befreit wurde, saß er im Gefängnis und wartete auf seine Hinrichtung, nachdem er Anfang 1939 zum Tode verurteilt worden war. Erst da hatten die verbrecherischen Roten ihn enttarnt und entdeckt, dass er während der drei Jahre, die der Kreuzzug dauerte, unter Einsatz seines Lebens vorzügliche Arbeit als Verbindungsmann zwischen der fünften Kolonne von Ciudad Real und der von Madrid geleistet hatte, was ihm den Spitznamen »Engel der Frauen« eingebracht hatte und wofür ihm noch heute viel Bewunderung und Zuneigung entgegengebracht wird. Don Miguel Sanchís Rodríguez erhielt nach dem Sieg den militärischen Roten Orden für Leiden um das Vaterland und einen weiteren als Anerkennung für seine Verdienste in der roten Zone. Doch als wahrer Soldat und aufrechter Patriot begnügte er sich nicht damit, den Frieden auf einem ruhigen Posten zu genießen, verzichtete darauf, die Offiziersschule des Heeres zu besuchen und kämpfte weiterhin an vorderster Front. Auf eigenes Verlangen wurde er in unsere Provinz geschickt, um von 1940 bis 1942 die Banditen in der Sierra de Cazorla zu bekämpfen, anschließend ließ er sich nach Fuensanta de Martos versetzen, ein Albtraum für die Banditen in der Sierra Sur, die von dem berüchtigten Cencerro angeführt wurden. Nachdem er erst vor kurzem zum Leutnant befördert worden war, ein Posten, den er tragischerweise niemals antreten sollte, fiel er im Morgengrauen des vergangenen Dienstags einem Hinterhalt der Verbrecher in den Bergen zum Opfer, bei dem auch der gefährliche Bandit Juan Sánchez López, alias »el Pirulete«, ums Leben kam. Möge Don Miguel Sanchís Rodríguez in Frieden ruhen, mit dem Dank und der Anerkennung aller Bürger von Jaén.
»Hast du das mitgekriegt?« Paquito war ganz aus dem Häuschen, als wir uns vor der Tür trafen, um zusammen in die Schule zu gehen.
»Ja«, antwortete ich. »Meine Schwester hat es mir gerade erzählt.«
»Und weißt du, dass Curro ihm den Gnadenschuss verpassen musste? Mein Vater hat es mir erzählt, er hatte zwei Schüsse in den Bauch abbekommen und wusste, dass es um ihn geschehen war. Deshalb hat er Curro gebeten, ihm in den Kopf zu schießen, er sagte, er wolle nicht mehr leiden, und Curro musste es machen, klar. Mein Vater sagte, er hätte wie ein Kind geheult. Schrecklich, was?« Plötzlich blieb er stehen, nahm mich am Arm und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Kannst du dir vorstellen, dass uns auch so was passiert, wenn wir groß sind?«
»Nein«, erwiderte ich nach einigen Sekunden.
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