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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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behalten würde, ich sagte ja, und er bedankte sich. Ich war so verwirrt, so durcheinander, dass ich nicht begriff, was passierte, ich konnte es nicht ahnen, nicht verhindern, ich konnte ihn nur anstarren, ich starrte ihn an und sah, wie ihm zwei große Tränen über das Gesicht liefen, während er sich die Waffe an die Schläfe hielt und mit dem Finger am Abzug rief: Es lebe die Kommunistische Partei Spaniens! Und gleich danach: Es lebe die Republik! Dann drückte er ab.
    Wir schwiegen eine lange Zeit. Wir würden noch viel länger brauchen, um alles zu begreifen, es zu akzeptieren, um uns daran zu erinnern, und das, woran wir uns erinnerten, zu verstehen. Vater und Curro tranken schweigend die Flasche Trester aus, während Mutter mit eingezogenen Schultern und reglosen Armen neben ihnen saß, bis ich zu ihr ging, mich auf ihren Schoß setzte und sie, ohne mich anzusehen, stumm die Arme um mich legte, mechanisch, wie aus einem unbewussten Impuls heraus.
    Da dachte ich das, was sie wahrscheinlich auch dachten, und fing an, eine lange Kette von Zufällen, die plötzlich einen Sinn ergaben, einzuordnen und erkannte, warum Sanchís so gerne herumbrüllte, so gerne drohte und in die Luft schoss, warum er nach außen hin so viel Gefallen an Gewalt, Grausamkeit, aufgestautem und unnötigem Hass fand. Sosehr ihn seine Vergangenheit schützte – selbst der Leutnant hatte Angst vor ihm –, so würde es doch immer jemanden geben, der an seiner Seite war, um ihn zurückzuhalten, und es war immer jemand da gewesen, bis auf die Nacht, in der er Comerrelojes und seinen Cousin Pilatos erschoss, denn er war noch nie so schnell gewesen wie in dieser Nacht, außer vielleicht, wenn er den Gürtel löste, und niemand sah, dass er nicht einmal den Reißverschluss herunterzog.
    Miguel Sanchís war Feldwebel und musste weder auf Patrouille gehen noch Wache schieben, aber in schwierigen Situationen hatte er den Leutnant immer überredet, dass es besser wäre, wenn er in der Kaserne blieb, weil er über mehr Autorität und Erfahrung verfügte als die anderen. Daher war er allein gewesen, als sie Cencerro in Valdepeñas umzingelten, Regalito in die Berge ging, während seine Mutter und seine Geschwister an der Leiche seines Vaters Totenwache hielten, oder die Frauen flüchteten, nie aber, wenn eine Razzia stattgefunden hatte. Michelin wollte nicht das Risiko eingehen, dass dieser blutrünstige, unbeherrschte Fanatiker jemanden zu Tode prügelte, und hielt ihn unter diversen Vorwänden von den Zellen fern. Jetzt würden Vater und Curro sich daran erinnern, dass die Fingenegocios ihm um Haaresbreite entwischt waren, um Haaresbreite, verdammt!, hatte Sanchís gesagt, als er in die Kaserne zurückkehrte und fluchte, während Carmona, der in dieser Nacht mit ihm unterwegs gewesen war und den er in eine andere, falsche Richtung geschickt hatte, ihn beruhigte und sagte, er solle sich keine Sorgen machen, es sei nicht seine Schuld gewesen, dass seine Pistole im ungünstigsten Augenblick eine Ladehemmung gehabt hatte. Miguel Sanchís hatte nie das Fluchtgesetz angewendet. Niemand würde je erfahren, wie viele Männer und Frauen ihm ihr Leben oder ihre Freiheit verdankten, wie viele er gerettet hatte, bevor er in dieser Nacht mit seinem eigenen Tod noch viele mehr rettete.
    »Verflucht nochmal!« Vater schlug die Faust auf den Tisch, und ich erinnerte mich an die Druckerpresse, die außerplanmäßige Razzia auf dem Hof der Rubias, die Rolle Pleita, die er bei Filo beschlagnahmt hatte, um die Druckerpresse zu retten, die in Doña Elenas Zwischengeschoss versteckt lag, die Szene in der Zelle und die Angst, die ich hatte, alles Theater, tatsächlich nur ein Film. »Verflucht nochmal!«
    »Ach, Nino, setz dich mal lieber da rüber.« Mutter schob mich von ihrem Schoß, als wäre ich ihr nun zu schwer, und zog einen Stuhl heran, ohne ihren Mann aus den Augen zu lassen. »Ich verstehe es nicht, wirklich, ich verstehe es nicht«, sagte sie an Curro gewandt. »Warum hat er dir nicht gesagt, dass sich ein Schuss aus seiner Waffe gelöst hatte?«
    Er sah sie an, als hätte er die Frage nicht verstanden, und brauchte einige Sekunden, um zu antworten.
    »Aus Versehen?« Mutter nickte. »Das ging nicht, er hatte ihn auf zweihundert Meter und mitten in der Nacht genau zwischen die Augen getroffen. Unmöglich. Er wusste, dass ich ihm nicht glauben würde, niemand hätte das geglaubt.«
    »Tja, jedenfalls, wenn er Kommunist war … Darum geht es doch, oder? Dass er

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