Der Feind meines Vaters - Roman
litten sie. Man musste sie nur ansehen, um zu ahnen, woran sie dachten, Sanchís’ Legende, der Held der fünften Kolonne, das opportune Todesurteil, die Rettung in letzter Minute, dieser Unsinn, die Roten hätten ihn nicht hingerichtet, weil sie keine Zeit gehabt hätten, als hätten sie nicht gewusst, wie schnell man einen Menschen töten kann, die Orden, die er an der Brust trug, und der Tod von Martínez, seinem ehemaligen Gefährten, der der einzige überzeugte Falangist in der Kaserne von Fuensanta de Martos gewesen war. Möglich, dass nicht er ihn getötet hatte, sondern jemand von Cencerros Leuten, trotzdem, vielleicht war er es im Auftrag von Cencerro gewesen, doch das würden sie nie herausfinden, auch nicht, wie lange sie die Schlange schon an ihrem Busen genährt hatten, wie viele von ihnen Miguel Sanchís getötet hatte, vor und nach dem Krieg, wie viele Leben, die er hatte retten können, mit dem Leben anderer bezahlt worden waren. Doch hier saßen sie, in ihren grünen Uniformen, mit blitzblank geputzten Stiefeln, funkelnden Knöpfen, den Dreispitz in die Stirn gedrückt, pflichtbewusst, denn man hatte ihnen verboten, über die Wahrheit dieses erstaunlichen Todes zu sprechen, selbst untereinander. Die Strategie des Oberstleutnants, der eindeutige Befehl, Schmerz und Bewunderung für einen Verräter zu heucheln, einen Kommunisten, verstärkte nur ihre Angst und die erstickende Ungewissheit, die sich kaum dadurch lindern ließen, dass man allem und jedem misstrauen musste, an diesem Abend, am nächsten Tag und am übernächsten, für immer und ewig. Das zumindest hatte Sanchís geschafft, und sogar Paquito, der keine Ahnung hatte, spürte es auf seine Art.
»Gehen wir«, sagte ich. »Meine Mutter meint, dass eine halbe Stunde reicht, und wir sind schon viel länger hier.«
»Soll ich Alfredo Bescheid sagen?«
»Ja, aber lass uns nacheinander gehen, damit es nicht so auffällt.«
Am nächsten Morgen gingen wir alle gemeinsam zur Beerdigung, wie eine große Familie. Es war ein Befehl. Die Frauen der Angehörigen der Guardia Civil warteten mit ihren Kindern im Hof auf Pastora, die nicht aus ihrem Haus, sondern aus dem Wachbüro kam. Der Leutnant, der sie schon am Tag zuvor befragt hatte, musste sie früh am Morgen erneut vorgeladen haben, und als ich sie zwischen Vater und Romero herauskommen sah, dachte ich zuerst, sie hätten sie verhaftet, aber das stimmte nicht. Sie geleiteten sie zum Friedhof, damit sie nicht allein gehen musste, gleichfalls auf Befehl, und es bewahrte sie mehrere Male vor einem Sturz, denn sie ging, ohne darauf zu achten, wohin sie ihre Füße setzte, sah nicht zu Boden oder zum Himmel, registrierte weder die Pflastersteine auf der Straße noch den Bürgersteig oder die Gebäude, als bewegten sich ihre Beine von allein, als wäre sie kein Mensch, sondern eine Marionette, die man aufgezogen hatte und deren Augen offen standen, weil niemand den Mechanismus gefunden hatte, um sie zu schließen. Sie war kaputt, deshalb ging sie so komisch und versuchte gar nicht erst, das Hinken zu verbergen. An diesem Morgen hatte sie sich mit den Schuhen vertan. Am rechten Fuß trug sie den orthopädischen Schuh, den sie normalerweise für die hochhackigen Schuhe benutzte, am linken aber einen einfachen Pantoffel. Das hatte sie noch nie getan, und ihre Nachlässigkeit rührte mich ebenso wie ihr erschöpfter, tränenloser Gesichtsausdruck. Es war ihr bereits egal, wer sie ansah, denn es gab niemanden mehr auf der Welt, um sie anzusehen.
Wir folgten Pastoras langsamem Schritt schweigend durch die menschenleeren Straßen des Dorfes. Die Kinder durften nicht raus, nicht einmal in den Hof, und auf manchen Balkonen hing schwarze Wäsche, aus Trauer um Pirulete, denn in Cuelloduros Bar war nur die Wahrheit bekannt, die in der Kommandantur von Jaén ausgeheckt worden war. Carmela Pesetilla lehnte an ihrer Haustür und sah uns vorüberziehen, wie immer, bekam aber nicht mit, wie Vater und Curro gleichzeitig den Kopf abwandten, um sie nicht ansehen zu müssen. Ich hingegen sah sie an und empfand noch mehr Wut und noch mehr Mitleid für sie, für mich und unser beschissenes Leben.
Die Kirche, in der Don Bartolomé ein Gebet für Miguel Sanchís’ Seelenheil singen ließ, war beinahe leer. Die meisten prominenten Dorfbewohner hatten beschlossen, sich die Beerdigung zu ersparen, die Totenwache hatte ihnen gereicht, und es waren nur Spitzel erschienen, Zuträger der Guardia Civil. Der Portugiese war auch da,
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