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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Kommandantur von Jaén unter seinem Befehl standen, hatten mit mir gerechnet. Niemand von ihnen wusste, dass in der Nacht, als ich der Unterhaltung meiner Eltern lauschte, das Exemplar der Schatzinsel , das Doña Elena mir zum elften Geburtstag geschenkt hatte, bereits beschädigt war. Sie konnten nicht wissen, dass ich einen Streifen des hinteren Schutzumschlags sorgfältig ausgeschnitten und einen Namen und eine Anschrift darauf geschrieben hatte, an die ich mich noch gut erinnere.
    Um die Mittagszeit hatte Vater das Rundschreiben mitgebracht, klares Indiz dafür, dass man die Wahrheit niemals erfahren würde. Mutter legte es in eine Schublade mit ähnlichen Schreiben, Namen und Anschriften anderer Witwen von Guardia-Civil-Kollegen, die in den vierziger Jahren während der Ausübung ihrer Pflicht in Fuensanta de Martos ums Leben gekommen waren. Als ich aus der Schule kam, war sie oben auf dem Dach, um Wäsche aufzuhängen, und Pepa, die mit ihren Buntstiften malte, interessierte sich nicht für das, was ich machte. Ich fragte gar nicht erst, ob ich rausgehen dürfte, denn ich wusste, dass sie mir nicht einmal erlauben würde, im Hof zu spielen, aber bevor sie mit dem leeren Korb wieder herunterkam, nahm ich einen von Pepas Stiften und die Küchenschere und schnitt sehr vorsichtig einen Streifen von dem Umschlag ab. Niemandem aus meiner Familie würde je auffallen, dass er fehlte. Es machte mir nichts aus, das Buch zu beschädigen, weil ich wusste, dass Jim Hawkins ein mutiger Junge war und es verstanden hätte. Nachdem ich den Inhalt abgeschrieben hatte, gab ich meiner Schwester den Stift zurück, legte das Rundschreiben wieder an seinen Platz und die Schere in die Schublade des Küchenschranks. Dann streckte ich mich auf dem Bett aus, um noch einmal die Geschichte des Piraten Flint und seines versteckten Schatzes zu lesen. Elena, die ich schrecklich vermisste, seit ich nicht mehr dreimal in der Woche zum Hof hinaufging, hatte unrecht. Ich hatte es ihr schon an einem Nachmittag im Haus ihrer Großmutter gesagt, an dem wir allein waren und uns über Abenteuerromane unterhielten. Alle Bücher handeln von der Liebe, selbst wenn weder Mädchen noch Küsse darin vorkommen oder am Ende eine Hochzeit stattfindet. Auch wenn die Liebe nur die Faszination und die schwer zu haltende Treue eines braven, mutigen Jungen gegenüber einem mutigen, habgierigen Piraten mit nur einem Bein und einem Papagei auf der Schulter bedeutet.
    Am nächsten Tag fand Mutter, ich solle nach der Schule zu Pepe gehen, und gab mir vier Zitronen für ihn mit, um sich für seine vielen Geschenke zu revanchieren. Sag ihm, er soll Zitronensaft trinken, sagte sie, der wird ihm guttun. Als ich den Hang hinaufging, dachte ich daran, dass es an diesem Nachmittag bestimmt leicht wäre, Elena auf dem Hof anzutreffen, denn der Kater nach den beiden Beerdigungen würde sicher auch sie erwischt haben. Trotzdem spürte ich nicht die geringste Versuchung, die Richtung zu ändern, denn ich diente einer anderen Liebe, und in diesem Augenblick war sie einfach stärker. Der Portugiese saß links von der hervorspringenden Feder auf dem Sofa und sah immer noch elend aus, vielleicht noch elender als am Tag zuvor. »Mutter hat mir ein paar Zitronen mitgegeben«, sagte ich und nahm sie aus der Tasche. »Du sollst dir einen Saft machen.«
    »Das ist nett!« Seine Stimme strafte die vorgetäuschte Fröhlichkeit Lügen. »Leg sie in die Küche. Später mache ich mir …«
    »Nein.« Ich legte die Zitronen auf den Tisch und setzte mich auf die andere Seite des Sofas. »Deshalb bin ich nicht gekommen. Ich …«
    Plötzlich verstummte ich, aber nicht aus Angst oder weil es mir schwerfiel, die richtigen Worte zu finden, um ein Geheimnis zu lüften, das bereits so viel Anstrengung, Wut und Schmerzen verursacht hatte, sondern ganz im Gegenteil, weil ich über meine eigene Ruhe staunte. Ich hatte keinen trockenen Mund, kein Herzrasen und zweifelte keinen Moment an der Richtigkeit dessen, was ich gleich tun würde.
    »Juan el Pirulete war ein Verräter.« Pepe, der sich auf dem Sofa zurückgelehnt hatte und die Wand anstarrte, richtete sich unvermittelt auf und musterte mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund. »In der Nacht zum Dienstag, gegen drei Uhr, patrouillierten Sanchís und Curro im Morgengrauen hier irgendwo in der Nähe, und dann tauchte er auf und wollte ihnen einen Handel vorschlagen. Er sagte, die in den Bergen versteckten Widerstandskämpfer hätten vor, nach

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