Der Feind meines Vaters - Roman
Rücksicht nahmen. In der Sierra Sur hatte es bereits genügend rote Helden gegeben, einen weiteren konnte man nicht gebrauchen. Die Führung war bereit, jeden Preis dafür zu zahlen, dass man die Wahrheit über Miguel Sanchís’ heldenhaften Tod begrub.
Viele Jahre später erfuhr ich aus einer Quelle, die ich Mutter nie und Vater noch viel weniger verraten konnte, dass sich die Wahrheit ganz anders verhielt. Pastora zog nach Madrid zu ihrer Schwester und hatte drei Monate Ruhe, bis sie eine Benachrichtigung von der Generaldirektion der Guardia Civil erhielt. Darin wurde ihr mitgeteilt, dass eine Überprüfung der Bezüge durchgeführt worden wäre, die sie bislang erhalten hatte. Diese habe ergeben, dass sie ihr aufgrund ihres Verhaltens vor der Glorreichen Nationalen Erhebung nicht nur nicht zustanden, sondern sie alles, was sie bislang bekommen hatte, einschließlich der Zuschüsse aus der Betriebsrente zurückerstatten müsse, obwohl ihr Mann als Mitglied der Guardia Civil über Jahre hinweg Monat für Monat dort eingezahlt hatte. Pastora verkaufte alles, was sie besaß, um ihre finanziellen Schulden zu bezahlen, samt den dazugehörigen Zins- und Zinseszinsen, die andere Schuld aber konnte sie nie begleichen. Ohne Gerichtsverfahren erhielt sie lebenslanges Berufsverbot, sie durfte nicht arbeiten, Besitz oder ein Konto bei einer Bank haben, musste sich jeden Tag im Kommissariat der Guardia Civil von Lavapiés melden und durfte Madrid nicht verlassen, nicht einmal, um sonntags zum Essen aufs Land zu fahren. Pastora war in der Calle Buenavista 16 gefangen und führte dort ein Leben, das sich deutlich von dem unterschied, um das die Frauen der Angehörigen der Guardia Civil in Fuensanta de Martos sie beneideten, obgleich sie sich nie mehr bei ihnen meldete, um es ihnen mitzuteilen. Der Kommissar, von dessen gutem Willen sogar ihr nächtlicher Schlaf abhing, hatte sie ausdrücklich gewarnt, dass sie bei dem geringsten Verdacht, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, teuer bezahlen würde, und Pastora hatte nichts mehr, um zu bezahlen, außer einer Wahrheit, die sie niemals verraten würde.
Michelin hatte sie vor dem Begräbnis verhört, sich aber nicht getraut, Klartext zu reden, er hatte sie nicht fragen können, was sie gewusst hatte, und sie hatte sich darauf beschränkt, alles abzustreiten. Sie habe niemals mitbekommen, dass ihr Mann illegalen Tätigkeiten nachgegangen sei, sie könne sich nicht vorstellen, dass es sich um eine Abrechnung handelte, von den Aktivitäten ihres Mannes während des Bürgerkrieges habe sie nur das gewusst, was in den Akten stehe. Sie waren beide Anfang 1937 der Kommunistischen Partei beigetreten, doch das entsprechende Schriftstück besage nichts, weil es die unverzichtbare Tarnung für den »Engel der Frauen« gewesen war, jenes Alibi, das ihm ermöglicht hatte, sich zwischen Ciudad Real und Madrid zu bewegen und höchst riskante Missionen durchzuführen, komplizierte Fluchten zu organisieren, die Verbindung zwischen Gruppen herzustellen, die so gefährdet und isoliert waren, dass keiner sich wunderte, wenn sie anschließend aufflogen. Es war so wichtig gewesen, dass Sanchís so viele Menschen hatte retten, so viele unschuldige Frauen und Witwen von hohen Militärs auf die andere Seite oder in irgendeine Botschaft schleusen können und sich damit die ewige Dankbarkeit ihrer Männer gesichert hatte, während die bewaffneten Gruppen, die Falangisten, die Freischärler, die republikfeindlichen Offiziere in der Volksarmee und die Zivilisten, die ihre Netze unterstützten, aufgedeckt und einer nach dem anderen gnadenlos hingerichtet worden waren.
»Was hätte Pastora denn sonst sagen sollen?«, erklärte Vater seiner Frau in dieser Nacht, ohne zu ahnen, dass ich hinter der Schlafzimmerwand lauschte. »Sie weiß bestimmt alles, sie kennt den Verbindungsmann ihres Mannes, die Mitglieder seiner Gruppe, sie ist eine Kommunistin wie er … was hätte sie sagen sollen? Natürlich musste sie alles abstreiten.«
»Das kann doch nicht sein, Antonino. So kann das doch nicht enden.«
»Es wird so enden, Mercedes. Das einzige, was sie interessiert, ist, dass die Wahrheit nicht ans Tageslicht kommt. Erinnere dich an den armen Sempere, den haben sie beerdigt, ohne dass jemand etwas mitbekommen hat, weil sie keine Verluste zugeben wollten. Hier wird es genauso kommen.«
Doch es kam nicht genauso, denn weder die Generaldirektion der Guardia Civil noch Oberstleutnant Marzal oder die Offiziere, die in der
Weitere Kostenlose Bücher