Der Feind meines Vaters - Roman
dass er irgendwo anders lebt, in Martos oder Los Villares.«
Pepe presste die Zitronenhälfte langsam weiter aus, bis kein Tropfen mehr darin war, dann nahm er die andere Hälfte und drehte sie hin und her, etwas schneller.
»Er sagte, vielleicht hätten sie sich nicht einmal getroffen, wahrscheinlich hätten sie eine andere Möglichkeit gehabt, Kontakt aufzunehmen, ohne sich treffen zu müssen, aber sicher ist er nicht. Wie soll man das wissen, hat er zu Curro gesagt.« Ich hielt inne, ehe ich meinen letzten Zug machte. »Ich glaube, er weiß nicht einmal, wie sehr Pastora Honig mag.«
Der Portugiese nahm alle Hälften, legte sie aufeinander und warf sie in den Mülleimer. Dann schüttete er den Saft in zwei Gläser und füllte sie mit kaltem Wasser, ehe er mich endlich ansah.
»Zucker?« Er lächelte.
»Ja, bitte.« Ich auch.
»Drei Löffel?«, fragte er, während er mir Zucker in das Glas häufte.
»Besser vier. Ich mag ihn süß.«
»Ist aber sehr schlecht für die Zähne, weißt du.« Wir lachten.
Dann setzten wir uns draußen vor die Tür und tranken in der Sonne unseren Saft, als wäre nichts. Er fragte, ob ich Elena in letzter Zeit gesehen und ob ich mit ihrer Großmutter etwas abgemacht hätte, und ich erzählte, sie habe gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, wir würden schon einen Weg finden, um den Unterricht fortzusetzen, es mache ihr nichts aus, kein Geld zu nehmen, obwohl sich die Lage auf dem Hof nach Filos Flucht verändert hatte. Jetzt habe Chica den Handel mit Lebensmitteln übernommen, Paula kümmere sich weiterhin um das Espartogras, Manoli um das Gemüsebeet, und sie müsse je nach Bedarf der einen oder anderen gelegentlich zur Hand gehen. Das Frühjahr sei eine schlechte Zeit, hatte sie gesagt, aber nach dem Sommer würden wir weitersehen.
»Ich besuche sie hin und wieder, um mich ein bisschen mit ihr zu unterhalten und mir ein neues Buch auszuleihen, aber nichts mehr von Jules Verne, den habe ich jetzt durch.« Ich gab ihm das Glas zurück und zog meinen Pullover an, weil die Sonne sich bereits versteckt hatte. »Ich muss jetzt los, Pepe. Danke für die Limonade.«
»Nein.« Er umfasste meine Schultern mit beiden Händen und drückte sie. »Ich danke dir, Nino. Ich danke dir für alles.«
Ich sah ihn an und nickte wortlos. Im Dorf war alles sehr ruhig, auf den Straßen gab es nur wenige Menschen, und niemand stand vor den Eingängen der Bars, auch der Hof der Kaserne war leer. Wir alle mussten uns erholen, und genau das taten wir. Der Portugiese hielt alle seine Versprechen, mit einer einzigen Ausnahme. Als ich am nächsten Nachmittag zum alten Häuschen hochging, stellte ich fest, dass er Paula unser Geheimnis doch verraten hatte. Sie blieb fast die ganze Zeit bei uns und betrachtete mich mit anderen, fast sanften Augen; da wusste ich, dass auch sie mich niemals verraten würde.
Trotzdem hielt der Friede nicht lange an, nicht einmal eine Woche. Mitte April erhielt Michelin eine offizielle Benachrichtigung, mit der alle vorherigen außer Kraft gesetzt und die versprochenen Beförderungen widerrufen wurden. Das Schreiben enthielt keinerlei Begründung und kündigte lediglich die Ankunft eines neuen Feldwebels namens José Luis Mariñas in Fuensanta de Martos an, um die Befehlskette in der dortigen Kaserne wiederherzustellen. Der Leutnant würde seinen Posten als Leiter der Guardia Civil vorläufig behalten. Seine neuen Aufgaben wurden mit keinem Wort erwähnt, auch nicht, was mit vorläufig gemeint war, oder ob er weiterhin auch für die Kasernen von Los Villares und Valdepeñas de Jaén verantwortlich wäre, und zum ersten Mal adressierten ihn seine Vorgesetzten nur als Leutnant der Guardia Civil, nicht des Heeres.
Diese Repressalie war ebenso vorhersehbar wie ungerecht, denn Miguel Sanchís war ein Kriegsheld gewesen und bereits mit diesem unantastbaren Heiligenschein ins Dorf gekommen. Nicht Michelin hatte ihn ausgezeichnet und verhätschelt, nicht er hatte keinen Verdacht geschöpft, als Sanchís sich um einen bescheidenen Posten bewarb, für den er eigentlich überqualifiziert war. Nicht er hatte diese offenkundige Aufopferung für einen eminenten Beweis seines Mutes und seiner Vaterlandsliebe gehalten. Der Leiter der Kaserne von Fuensanta de Martos war für Sanchís’ Verrat viel weniger verantwortlich als die Männer, die soeben Michelins Karriere ruiniert hatten, aber, wie Vater sagte, so ist es nun mal, und so wird es auch bleiben. Dasselbe dachte Carmona, als er
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