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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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was sie brauchten, und den Rest auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, auch wenn sie dabei Gefahr liefen, erwischt zu werden, wie Filo an diesem Nachmittag. Normalerweise beschlagnahmte die Guardia Civil einfach die Rollen, was angesichts der vielen in ihre Herstellung investierten Arbeitsstunden bereits einen großen Verlust bedeutete, nahm sie mit auf die Wache, redete ihnen ins Gewissen und ließ sie wieder laufen. Doch Filo durfte nicht gehen.
    »Schon meine Ururgroßeltern haben in den Bergen Espartogras gesammelt …«
    Als Sanchís ihr einen Stoß versetzte, wäre sie fast gefallen, doch die Zelle betrat sie nicht. Stattdessen schloss sie die Tür von außen, klammerte sich an das Gitter und reckte den Hals, um den Beamten der Guardia Civil mit einem wilden Ausdruck anzusehen. Als spuckte sie ihm jede Silbe ins Gesicht und ohne Curro, der auf der Türschwelle stand, oder mich, der ich reglos vor der Schreibmaschine saß, eines Blickes zu würdigen, erklärte sie:
    »Schon meine Urgroßeltern haben in den Bergen Espartogras gesammelt.« Ich hingegen sah sie an, und sie war mir noch nie so schön erschienen. Der Zorn erleuchtete sie von innen und verzerrte die scharfen Konturen ihres ebenmäßigen Gesichts zu einer tragischen Maske, in der sich die dunkle Anmut einer Zigeunerin mit dem Glanz eines frisch gepflückten Apfels vereinte. »Schon meine Großeltern und meine Eltern haben in den Bergen Espartogras gesammelt. Und jetzt willst du mich einsperren, weil ich dasselbe getan habe wie sie?«
    »Ja.« Der Feldwebel verzog die Lippen zu einem Lächeln, das aussah wie das Grinsen einer hässlichen Kröte. »Stell dir vor.«
    »Warum?«
    »Weil es gegen das Gesetz verstößt, das weißt du doch ganz genau.«
    »Gegen das Gesetz, soso!« Sie lachte und schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht glauben, was sie hörte. Ihre Augen sprühten Funken. »Wer sagt das?«
    »Ich sage das!« Sanchís verlor allmählich die Geduld, Curro bemerkte es und ich auch, trotzdem sahen wir beide zu, ohne etwas zu unternehmen. »Geh da endlich rein, Filomena! Bring mich nicht auf die Palme, ich warne dich!«
    Sogar Mutter hält es für eine Schande. Das dachte ich, während ich beobachtete, wie sich Filo an das Gitter klammerte. Noch hatte sie das Kinn gereckt und ein Lächeln auf den Lippen, aber Sanchís kam ihr immer näher, wurde immer wütender, schnaufte, tastete nach der Gürtelschnalle, und da konnte ich nichts anderes mehr denken als geh rein, Filo, geh rein, ich wiederholte es unzählige Male mit geschlossenen Lippen, geh rein, Filo, um Gottes willen, als betete ich, als wollte ich mich selbst retten, nicht sie, geh rein, bitte, geh endlich rein …
    »Ich habe aber keine Lust, da reinzugehen.« Filo sah mich nicht an, hörte nicht auf mich. »Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich bin weder eine Diebin noch eine Verbrecherin, dass du mich in eine Zelle sperren könntest.«
    »Ach nein? Vielleicht hast du ja auf etwas ganz anderes Lust.« Sanchís öffnete die Gürtelschnalle, und Curro unternahm nichts, ich auch nicht, sie dagegen lockerte ihren Griff, ohne die Finger ganz von dem Gitter zu lösen. »Willst du, dass ich mit dir reingehe? Ist es das, Filo?«
    Sie zeigen schon wieder einen Film, Nino, in jener Nacht war ich schnell eingeschlafen, Weihnachten stand vor der Tür, es war kalt, doch dann weckte mich meine Schwester Pepa auf, indem sie mir über das Gesicht tastete, die zeigen schon wieder einen Film, Nino, und ich kann nicht schlafen. Ich wurde richtig wach, und dann hörte ich es auch, viel näher als sonst, komm her, sagte ich ihr, leg dich neben mich, wir wollen singen, und während sie sich an mich schmiegte, begann ich zu singen, aber ich hörte sie immer noch, zu laut, zu nah, Sanchís’ Stimme, Curros Stimme, sie waren bei ihm in der Wohnung, sie mussten bei ihm sein, auf der anderen Seite der Wand, und da sang ich lauter und dachte, dass ich bestimmt meine Eltern wecken würde, aber das war vielleicht gut so, denn diese Szene hätte sich bei den Zellen abspielen müssen und nicht im Zimmer nebenan. Hörst du die Frau? Meine Schwester weinte, anstatt sich durch das Lied beruhigen zu lassen, ist das nicht Fernanda Pesetilla? Aber nein, antwortete ich und dachte, dass es ein Zufall war, ein unglücklicher Zufall, denn Fernanda arbeitete in der Metzgerei ihrer Schwiegermutter, seitdem ihr Mann in die Berge gegangen war, das ist eine Schauspielerin, die eine ähnliche Stimme hat, aber da meine Mutter sie immer

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