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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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verlieren. »Ich sage ihr, dass du im Sterben liegst.«
    »Mir geht’s wirklich nicht gut! Ich schwöre es, Nino, im Ernst. Die Blondine war Spitze, aber so werde ich langsam krank.«
    Als ich um die Kurve bog, verschwand er aus meinem Blickfeld, aber ich hörte noch, wie er rief:
    »Es geht mir immer dreckiger …«
    Als ich auf der Höhe der ersten Häuser im Dorf Vater und Romero begegnete, lachte ich immer noch.
    »Ach, das sieht schon besser aus, mein Junge!«, sagte Vater und lächelte gütig, bevor er mir einen Kuss auf die Wange gab. »Bist du wieder auf dem Damm?«
    »Ja.« Ich erwiderte seinen Kuss wie immer, und es fiel mir leicht. »Das Bauchweh ist weg.«
    »Wer weiß, was du wieder gegessen hast, den ganzen Tag treibst du dich am Fluss herum. Wahrscheinlich unreife Brombeeren.«
    Als wir zu Hause ankamen, war alles an seinem Platz, wie immer. Dulce tuschelte mit Encarnita im Hof, Mutter trug ihren Hauskittel und rührte im Gemüsepüree, das sich unveränderlich mit Gemüseeintopf oder Knoblauchsuppe zum Abendessen abwechselte, je nach Wetter und Jahreszeit, und Pepa wartete schon, damit ich ihr half, Heiligenbildchen in ihr Album zu kleben. Wir fuhren uns mit den mit Kleister beschmierten Händen über das Gesicht und kicherten, Mutter schimpfte, und wir kicherten erneut. Nachdem wir uns in der Küchenspüle gewaschen hatten, war es bereits Zeit, zu Abend zu essen, und danach gingen wir zu Bett. Ich las noch eine ganze Weile, musste aber kurz bevor ich mit Phileas Fogg in Indien von Bord gehen konnte, aufhören, denn Dulce wollte schlafen.
    Ich versuchte, die Dunkelheit für mich zu gewinnen, sie auf meine Seite zu bringen, an den Körper der Blondine zu denken, die wie ein Schlauchboot aussah, mir mit geschlossenen Augen vorzustellen, wie sie mit Pepe tanzte, eng umschlungen, und ihm das Bein zwischen die Schenkel schob, doch es klappte nicht, genauso wenig wie der Versuch, mir die wütende Paula vorzustellen, ihre Beleidigungen, die vergeblichen Versuche, sich aus Pepes Griff zu befreien. Beide Bilder gefielen mir, ich fand sie aufregend und lustig, aber ich konnte sie nicht festhalten in meinem Kopf, in dem ein hagerer, kahlköpfiger Mann zum Rhythmus eines Paso doble davonging, am ganzen Leib zitternd, bis ich den Knall eines Schusses hörte, der ihn zu Fall brachte, immer wieder, die Arme vom Körper abgespreizt, die Hände leer, mit einem karierten Hemd und weiten, geflickten Hosen, die ich nie gesehen hatte.
    In dieser Nacht starb Pesetilla unzählige Male, so wie in vielen weiteren Nächten, auf das unerbittliche Geheiß der feindlichen Dunkelheit, die ihn immer gleich ausstaffierte, während sie für meinen Großvater, den ich nie gesehen hatte, nicht einmal auf einem Foto, ein makelloses weißes Hemd reservierte, auf dem die Kugel einen Blutfleck erblühen ließ, einen runden unregelmäßigen Fleck, der anfangs schön war wie eine aufgehende Nelke, sich dann aber verformte und so schnell ausbreitete, dass er alles rot färbte, den Stoff, den Balg des Akkordeons, die Tasten, die seine blutigen Finger noch drückten, als der Körper unvermittelt nach hinten flog, das dumpfe Geräusch des Aufpralls, der den abgerissenen, unvollendeten Akkord, nur noch Luft und nicht mehr Musik, nicht übertönen konnte. Doch ich hörte immer noch den Paso doble, den Silbido und mein Großvater vor ihrem Tod spielten, einen fröhlichen Ohrwurm, den ich seit Jahren kannte, aber nicht wusste, wie er hieß. Wenn Don Justino für seine Feste einen halbverhungerten Torero engagierte und zwei Jungstiere kaufte, erklang diese Musik und ich sah, wie die Liebespaare in Sonntagkleidung auf den Pflastersteinen um eine Leiche tanzten. Es war Cencerro, aber auch Großvater, und es war Crispín, aber auch Silbido. Die Musik spielte, und von den Tasten des Akkordeons tropfte das Blut, bis sie dann erneut Manuel Carajita töteten und seinen Freund den Flötenspieler, und ihnen die Instrumente schließlich aus den Händen fielen, doch der Paso doble wollte nicht verstummen.
    Diejenigen, die an die Wand gestellt wurden, erschoss man von vorn. Ich wollte es nicht, aber ich sah Großvater mit dem Gesicht seines Sohnes, es war Vater, der mit einem Akkordeon in den Händen starb, an der Seite eines Mannes, der eine Flöte hielt und dessen Gesicht ich nicht sehen konnte. Mein Onkel, Vaters Bruder, und seine beiden Cousins hatten auch keine Gesichter, nur er, der mein Großvater und zugleich dessen Sohn war, mein Vater, der

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