Der Feind
eine kurze Pause, um seine Worte einwirken zu lassen. »Inoffiziell …«, fügte er hinzu, »hat er grünes Licht von mir, jeden zu töten, der als Täter oder Auftraggeber an der Sache beteiligt war.«
44
VENEDIG, ITALIEN
Das Kreuzfahrtschiff, das in den Canale di San Marco einfuhr, schien viel zu groß für ein so enges Gewässer zu sein, doch Abel ging davon aus, dass die Verantwortlichen wussten, was sie taten. Schließlich war der Tourismus Italiens größter Wirtschaftszweig, und man würde sicher nicht riskieren, dass einer dieser stählernen Kolosse den Dogenpalast rammte. Es war dies das dritte Schiff an diesem Nachmittag und mit Abstand das größte. Abel saß auf der Terrasse seiner Dachterrassenwohnung, die ihn zweitausend Dollar pro Nacht kostete und von der er den Zusammenfluss von Canale Grande und Canale di San Marco überblickte. In der Hochsaison kostete die Wohnung fünftausend Dollar, aber im Sommer würde ohnehin nur ein Narr nach Venedig kommen. In dieser Jahreszeit war die Stadt förmlich von Touristen überschwemmt. Die Hitze, die Feuchtigkeit und der Schweiß ergaben einen säuerlichen Geruch, der äußerst penetrant werden konnte. Die Preise waren unverschämt hoch und der Service äußerst schlecht. Im Frühling und Herbst war es etwas völlig anderes. Das Wetter war angenehm mild, man konnte sich in den schmalen Straßen wieder bewegen, und der Service war so, wie man es erwartete.
Abel blickte zu den Passagieren hinauf, die hoch über ihm auf allen vier Decks an der Reling standen, Fotos knipsten und winkten. Wenn es etwas gab, was sie alle gemeinsam zu haben schienen, dann war das ihr völliges Desinteresse an körperlicher Fitness. Wie plumpe Vögel, die nach Futter suchten, starrten sie auf ihn herab. Sein Staunen über dieses mächtige Wasserfahrzeug, das so zielsicher durch dieses enge Gewässer manövriert wurde, wich dem Ärger über dieses bornierte Volk, das in seine Privatsphäre eindrang. Abel bemühte sich, die Störenfriede zu ignorieren, und wandte sich wieder dem Bildschirm seines Laptops zu.
Es war ein interessanter Tag gewesen. Er hatte gut geschlafen und war um sieben Uhr aufgestanden. Nach dem Frühstück im großen Ballsaal machte er einen ausgedehnten Spaziergang durch die einzigartige Lagunenstadt, die sich in vielerlei Weise auf den neuen Tag vorbereitete. Um zehn Uhr war er wieder im Hotel und sah seine E-Mails durch. Er war gleichzeitig erfreut und schockiert, zu lesen, dass Mitch Rapp tot war. Und nicht nur das – der Killer hatte es auch noch geschafft, das Ganze als Unfall zu tarnen. Abel war verblüfft, wie schnell und scheinbar mühelos der Auftrag erledigt worden war. Saeed Ahmed Abdullah würde sehr erfreut sein. Es war keine Überraschung, dass die Killer die sofortige Auszahlung des restlichen Honorars verlangten. So verlockend es auch war, Abdullah die gute Nachricht zu übermitteln – er wusste, dass er zuerst eine Bestätigung aus einer unabhängigen Quelle einholen musste. Aufgrund des Zeitunterschiedes zwischen Venedig und Washington dauerte das eine Weile. Aus Angst, ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verzichtete Abel darauf, einen seiner Kontakte in internationalen Geheimdienstkreisen anzurufen. Um zwei Uhr nachmittags fand er die Geschichte schließlich auf der Website der Washington Post. Abels Herz schlug bis zum Hals hinauf, als er den Bericht las. Er vollführte einen Freudentanz in seinem Zimmer, nachdem er soeben weitere sechs Millionen Dollar verdient hatte, ohne auch nur einen Finger rühren zu müssen. Abel war kein Mensch, der zu solchen Freudenausbrüchen neigte, doch heute war für ihn ein ganz besonderer Tag.
Gleich nachdem er den Bericht gelesen hatte, rief er Abdullah über eine verschlüsselte Satellitentelefonverbindung an und berichtete ihm die Neuigkeit. Der Mann begann zu schluchzen und dankte Allah und Abel dafür, dass sie der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen hatten. Abel wollte das Gespräch kurz halten und sprach deshalb das Thema des Honorars an. Abdullah versicherte ihm, dass er sich noch heute darum kümmern würde, und dankte Abel immer wieder, dass er ihm geholfen hatte. Abel ermahnte den Milliardär schließlich noch zur Vorsicht. Es gab sicher so manchen in der CIA, der die von den Medien verbreitete Auffassung, dass es sich um einen Unfall handelte, keinen Moment lang glauben würde.
Als sich der Tag dem Ende zuneigte, wartete Abel aufgeregt auf eine Bestätigung seiner Banken, dass das Geld auf
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