Der Feind
lächelte. »Wenn das Geld stimmt«, sagte er, »dann werde ich ihn eigenhändig töten.«
51
CIA-SAFE-HOUSE, VIRGINIA
Körperlicher Schmerz und seelische Qualen haben unterschiedliche Konsequenzen. Jedes für sich kann einem Menschen schweren Schaden zufügen. Eine schwere körperliche Verletzung fesselt den Betreffenden ans Bett, während ein psychisches Trauma einen Menschen handlungsunfähig machen und ihm jeden Lebenswillen rauben kann. Körperlicher und seelischer Schmerz sind für sich allein schon schlimm genug, doch wenn beides zusammenkommt, hat das zumeist verheerende Folgen. Die beiden vergangenen Tage waren die schlimmsten in Rapps Leben gewesen. Ständig schwankte er zwischen tiefster Verzweiflung und wütenden Rachegedanken hin und her. Am liebsten wäre er sofort aufgestanden, um mit der Jagd nach den Tätern zu beginnen, doch er war sich nicht sicher, ob er auch nur einigermaßen dazu in der Lage wäre. Körperlich musste er sich erst erholen, und seelisch war er ohnehin völlig am Boden. Nachdem er viele Jahre völlig auf sich allein gestellt unter extremen Bedingungen operiert hatte, wusste sich Rapp sehr gut selbst einzuschätzen. Der unbändige Hass, den er auf diejenigen empfand, die für Annas Tod verantwortlich waren, würde ihn dazu bringen, alles zu tun, was notwendig war, um die Schuldigen zu finden. Rapp wusste jedoch nicht nur, wie wichtig eine entsprechende Motivation war – er war sich auch der Gefahren bewusst, die im Übereifer lagen. Wenn man sich zu sehr von seinen Emotionen treiben ließ, neigte man dazu, Risiken einzugehen, die in keinem Verhältnis mehr zu dem standen, was man erreichen wollte. Es gab wohl Situationen, in denen brachiale Gewalt das richtige Rezept war, aber es gab auch Momente, in denen man vorsichtig und wohlüberlegt vorgehen musste.
Sein Körper würde sich recht schnell erholen. Rapp war schon öfter nach schweren Verletzungen wieder auf die Beine gekommen, doch es war vor allem seine seelische Verfassung, die ihm Sorgen bereitete. Nie zuvor hatte er solche Angst davor gehabt, allein mit seinen Gedanken zu sein. Das abgrundtiefe schwarze Loch, in das sich sein Leben so plötzlich verwandelt hatte, war beängstigend. Er hatte schon furchtbare Dinge getan und gesehen, aber noch nie hatte ihn etwas so aus dem Gleichgewicht gebracht wie der Tod seiner Frau. Es war teilweise so schlimm, dass er nach Beruhigungsmitteln verlangen musste. Es war die einzige Möglichkeit, wie er all die quälenden Gedanken abstellen und der furchtbaren Gewissheit ihres Todes wenigstens für eine Weile entgehen konnte.
Doch wenn er erwachte, war alles wieder da – die tiefe Verzweiflung ebenso wie die blinde Wut. In einem Augenblick schwor er sich, ihren Tod zu rächen, und im nächsten lag er hilflos da und wünschte sich nichts sehnlicher, als noch einmal ihr Gesicht berühren zu können. Und dann kam schließlich das Unvermeidliche – er gab sich selbst die Schuld an ihrem Tod. Es war diese emotionale Instabilität, die Unfähigkeit, die Sache nüchtern und logisch zu betrachten, die ihm die größte Sorge bereitete. Wenn er seine Emotionen nicht in den Griff bekam, würde er scheitern.
Und genau das durfte nicht passieren. Die Vorstellung, dass die Schuldigen ungestraft davonkommen könnten, sowie das Wissen, dass es immer schwerer werden würde, die Täter zu finden, je länger er hier in diesem Zimmer festsaß, war es schließlich, was ihn davor bewahrte, in tiefe Dunkelheit und Depression zu stürzen. Letztlich war es auch der Gedanke, was für ein Bild des Jammers er hier bot, wenn er wieder einmal schluchzend auf dem Bett lag, was ihn schließlich bewog, die Schmerzen zu ignorieren und sich aufzurichten.
Sobald er aufrecht saß, schoss ihm ein jäher Schmerz in die Schläfe, der, wie er wusste, von den Beruhigungsmitteln kam. Es war Zeit, sich einen genauen Überblick über seinen körperlichen Zustand zu verschaffen. Er trug eine kurze Pyjamahose und fragte sich, wie er dazu gekommen war, als ihm einfiel, dass er überhaupt keine Kleider mehr besaß. Das Haus, der Wagen, alles, was er besessen hatte, war weg. Er nahm an, dass auch sein Hund Shirley der Explosion zum Opfer gefallen war. All das war jedoch nichts im Vergleich zum Verlust seiner Frau. Er blickte hinunter und untersuchte den dunkelblau verfärbten rechten Oberschenkel und das linke Knie, an dem man noch Spuren der Operation sah. Der Oberschenkel sah wesentlich schlimmer aus als das Knie. Sein gebrochener
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